Geld mit Geschlecht. Die klassische Erotik-Branche behauptet sich schon lange als Wirtschaftsfaktor in Berlin, wie hier bei der Erotik-Messe Venus. Nun tritt sie auch in der Startup-Gemeinde selbstbewusster auf. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

»Mehr Sex-Techs für Berlin«

Berlin könnte zur führenden Startup-Metropole der Welt werden – wenn mehr Unternehmen auf Sex setzen würden. Das meinte zumindest Cindy Gallop beim diesjährigen Tech Open Air.

Cindy Gallop hat eine Mission: Sie will Sex zur normalsten Sache der Welt machen. Ist sie schon? „Keinesfalls“, meint die 56-Jährige. Hardcore-Pornos würden ein völlig falsches Bild vermitteln, dem sie ein realistisches entgegensetzen will. Dabei helfen sollen Sex-Techs, also Unternehmen, die sich rund um Lust und Liebe drehen. „Für diese Branche ist Berlin der perfekte Standort“, glaubt Gallop.

Die Sex-Industrie zwischen 5000 Startup-Unternehmern

Eine Art Facebook für „echten Sex“ will die Unternehmerin Cindy Gallop populär machen. Foto: TOA/Nika Kramer

Gallop, die in Großbritannien geboren wurde und in New York lebt, war in dieser Woche zu Gast in der Hauptstadt. Unter anderem trat sie beim Tech Open Air auf, das sich um Digitalisierung dreht, die fast alle Branchen verändert. Eingeschlossen die Sex-Industrie. Rund 5000 Teilnehmer waren zu der Veranstaltung ins Funkhaus nach Oberschöneweide gekommen, wo der DDR-Rundfunk von 1956 bis 1990 seinen Sitz hatte.

Im kurzen weißen Kleid und mit High- Heels wirbelte Gallop hier am Donnerstag über die Bühne des Großen Sendesaals, wo Daniel Barenboim am Vortag noch zusammen mit der Violinistin Lisa Batiashvili das Sibelius-Konzert aufgenommen hatte. Der Maestro kam anschließend selbst kurz vorbei, um den Konferenzbesuchern Grundlagenwissen zu vermitteln. Das Wort Technologie, so erklärte Barenboim, komme nämlich aus dem Griechischen, angelehnt an das Wort techne „Kunst“. Insofern könne auch er viel mit Techno anfangen, scherzte Barenboim im Gespräch mit Mathias Döpfner, dem Vorstandsvorsitzenden des Springer-Verlags.

Make Love, not Porn

Rund 80 Vorträge gab es auf dem interdisziplinären Tech Open Air verteilt auf zwei Tage, doch Gallops Auftritt war der populärste. Denn die Unternehmerin selbst hat sich mit einem Sex-Startup bereits einen Namen gemacht: MakeLovenotPorn.com heißt ihre 2012 gegründete Website, die sie zu einer Art Facebook für „echten Sex“ ausbauen will.

Ihr Traum: Ganz normale Menschen teilen dort ihre Erfahrungen und Erlebnisse. Ein Paar solle beispielsweise nicht nur romantische Fotos von sich vorm Pariser Eiffelturm posten, sondern auch das, was anschließend im Hotelbett passiert. Und weil ohne Bewegtbild in der Branche wenig geht, hat Gallop dafür die Videoplattform MakeLoveNotPorn.tv gestartet. Mit diesen Möglichkeiten wolle sie die Kommunikation über ein Thema vereinfachen, über das nach ihrer Ansicht noch immer zu sehr geschwiegen wird, erklärte Gallop. So würden Studien zufolge heute bereits achtjährige Kinder zum ersten Mal mit Hardcore-Pornos konfrontiert, erzählt sie. Nicht, weil sie bewusst danach suchten, sondern weil sie beim Surfen im Netz zufällig darauf stoßen würden.

Matratzen für besseren Sex?

„Umso wichtiger ist es, dass wir Kindern so früh wie möglich ein realistisches Bild vermitteln, sie altersgerecht aufklären und sie mit dem Thema Aufklärung nicht im Netz alleine lassen“, betont sie. Doch nicht allein aus gesellschaftlichen Gründen müsse es mehr Startups geben, die sich mit Lust und Liebe beschäftigen.

Auch aus unternehmerischer Sicht warte in der Branche ein Riesengeschäft, das bisher leider vernachlässigt werde. „Da muss man nur an die Matratzenindustrie denken“, erzählt Gallop, „die konzentriert sich ausschließlich auf das Thema Schlaf. Warum werben die Hersteller nicht damit, was für tollen Sex man auf ihren Matratzen haben kann?“ Auch der enorme Erfolg des Sado-Maso-Romans „50 Shades of Grey“ habe gezeigt, welches Potenzial das Thema habe.

Liberale Atmosphäre als Standortvorteil

Doch sie selbst habe immer wieder erfahren müssen, wie schwer es ist, mit einem Sex- Startup Geld bei Investoren oder Banken einzusammeln: „Nimm die Probleme, die ein normaler Startup-Gründer hat und verdreifache sie.“ Wer diese Hürden allerdings meistere, auf den könne ein Millionen-Geschäft warten.

Berlin eignet sich aus Gallops Sicht gerade deshalb besonders gut als Standort für Sex-Techs, weil die Hauptstadt bereits eine sehr gut entwickelte Startup-Infrastruktur habe. „Hinzu kommt die sehr offene und liberale Atmosphäre, die es den Unternehmens leichter machen dürfte, hier ihr Geschäft aufzubauen“, sagt Gallop.

Bereits jetzt viele Sex-Techs in Berlin

Mit Investitionen von 2,1 Milliarden Euro in die Gründerszene hat Berlin 2015 bereits London geschlagen und sich an die Spitze von Europas Startup-Metropolen gesetzt. „Mit Investitionen in Sex-Techs könnte Berlin sogar weltweit zur Nummer eins werden“, prophezeit Gallop. Sie würden sich wünschen, dass es deshalb schon bald einen Sex-Tech-Inkubator oder Accelerator in der Hauptstadt gibt, der die Unternehmen bei ihrer Gründung begleitet.

So schnell dürfte dieser Wunsch von Gallop wohl nicht in Erfüllung gehen, doch tatsächlich gibt es in Berlin bereits einige junge Unternehmen aus dem Bereich Sex-Techs. Beispielsweise den Online-Sexspielzeug-Händler Amorelie, den Online-Escort-Servicevermittler Ohlala, den Kondom-Hersteller Einhorn oder die Zyklus-Tracker-App Clue - bis auf Einhorn sind all diese Startups von Frauen gegründet worden. „Kein Wunder“, findet Gallop, „Frauen fordern in dieser Branche den Status quo gerade deshalb heraus, weil sie dort selbst nie der Status quo gewesen sind.“

Vom Berghain zum Sex-Tech-Hub

Sebastian Pollock, der Amorelie zusammen mit Lea-Sophie Cramer gegründet hat, kann nur bestätigten, dass Berlin als Sex-Tech-Standort besonders gut geeignet ist: „Wir erleben gerade tatsächlich, dass sich hier eine Art Cluster dafür bildet, da scheint sich viel zu bewegen, was sicher auch daran liegen mag, dass Berlin eine so offene Stadt ist.“

Auch Florian Nöll, Vorsitzender des Bundesverbands Deutsche Startups sieht in der Branche enormes Potenzial: „Wir reden über die Branche mit dem größten Traffic im Internet und sehr relevanten Umsätzen. Sie schafft Arbeitsplätze und kommt immer mehr aus der Schmuddelecke heraus“, sagte er. „Berlin ist bekannt für seine Freiheit und Liberalität. Nicht nur die Startup-Szene sondern auch Berghain und KitKat Club sind Botschafter dieses Berlins. Damit hat Berlin beste Voraussetzungen um zum Sex-Tech-Hub zu werden“. Doch fördern könne man das kaum. „Wir müssen abwarten, ob sich eine kritische Masse von Startups aus diesem Bereich in Berlin gründet und ansiedelt.“

Sollte Berlin tatsächlich zum Standort Nummer eins für Sex-Techs werden, will auch Cindy Gallop weg aus New York, „ab nach Berlin, das ist doch klar“.