Sind Computerspiele wirklich Sport?
Man stelle sich vor, Real Madrid würde nach Berlin ziehen und kaum einer bekäme es mit. Genau das ist gerade passiert. Die ursprünglich aus Spanien stammende Mannschaft G2 Esports hat ihre Aktivitäten komplett nach Berlin verlegt, das Büro in Madrid geschlossen und sich aus der dortigen Liga zurückgezogen. Dabei ist G2 nicht irgendeine Mannschaft, sondern gehört zu den erfolgreichsten professionellen Videospielteams in Europa.
Berlin ist die E-Sport-Hauptstadt Europas
Das ist auch der Grund für den Umzug. „Schritt für Schritt hat sich Berlin zum europäischen E-Sport-Zentrum entwickelt“, erklärte das Team. Schließlich findet auch die Champions League in Adlershof statt. In einem Fernsehstudio duellieren sich die Spieler in dem derzeit populärsten Titel „League of Legends“. 100 Millionen Menschen jagen darin jeden Monat Feuerdrachen, Düsterwölfe und andere Kreaturen. Wenn sich die besten Teams messen, füllen sie ganze Stadien und weltweit schauen bis zu 50 Millionen Fans am Bildschirm zu.
Heimspiele von Schalke in Berlin
In den vergangenen zwei, drei Jahren hat E-Sport einen enormen Boom erlebt. Der Umsatz lag im Vorjahr bei schätzungsweise 620 Millionen Euro. Das lockt inzwischen auch viele klassische Fußballclubs wie Bayern München, Wolfsburg, Köln oder auch Hertha, die Videospielprofis unter Vertrag genommen haben oder gerade dabei sind. Vorreiter in Deutschland war Schalke 04, das schon vor zwei Jahren ein E-Sport-Team aufgestellt hat. Die Schalker sind auch der einzige deutsche Vertreter in der Europe League of Legends Championship Series. Doch da die Spiele der höchsten europäischen Spielklasse in Adlershof ausgetragen werden, ist das Team ebenfalls in der Hauptstadt stationiert. In Charlottenburg gibt es eine Spieler-WG und in einer zweiten Wohnung ein Trainingszentrum.
Nun will auch Hertha BSC in das Geschäft einsteigen. Im Sommer eröffnet der Club dazu eine eigene E-Sport-Akademie, in der zunächst eine Handvoll Nachwuchsgamer trainieren sollen. Derzeit veranstaltet der Club dazu Scouting-Turniere, so wetteiferten vergangenes Wochenende 128 Jugendliche in der Potsdamer Schinkelhalle um einen der 20 Plätze für das Finalturnier im Juni. „Wir haben im vergangenen Jahr gemerkt, dass wir an dem Thema nicht mehr vorbeikommen“, sagt Herthas Marketingchef Daniel Schmid. Ständig hätten Sponsoren danach gefragt. „Wir wollten aber nicht einfach wie Schalke oder RB Leipzig fertige Spieler kaufen“, sagt Schmid.
Manchester kauft deutschen Playstation-Weltmeister
Denn die Mechanismen des Profifußballs haben längst auch im E-Sport Einzug gehalten. So hat Manchester City kürzlich Kai Wollin verpflichtet, den amtierenden FIFA-Weltmeister an der Playstation. Kaum einer beherrscht die Fußballsimulation so gut, wie der Deutsche. Topspieler in den USA und Asien erhalten inzwischen sechs- bis siebenstellige Gehälter, zudem winken Preisgelder in Millionenhöhe.
Betrachtet man solche Wettbewerbsaspekte, ist das professionelle Zocken längst Hochleistungssport. Auch dessen negative Begleiterscheinungen, von verbotenen leistungssteigernden Mitteln bis hin zu Wettbetrug, gehören längst dazu. Trotzdem ist die Vorstellung, Computerspieler, mögen sie auch noch so gut sein, betrieben beim Spielen Sport, vielen fremd.
Erster E-Sport Gipfel
Die Gretchenfrage, ob E-Sport wirklich Sport ist, beschäftigt derzeit Politik und Sportverbände und auch beim ersten deutschen E-Sport Summit bestimmte sie die Diskussionen. Das Gipfeltreffen der Szene fand am Donnerstag im Zuge der Gamesweek in Berlin statt. Die Stuhlreihen im Säälchen am Holzmarkt waren beinahe komplett gefüllt. Einige Besucher trugen Basecaps oder Kapuzenpullis mit Aufschriften wie „Republic of Gamers“ oder „Magdeburg Esports“, doch der Großteil hatte Hemd und Jacket aus dem Kleiderschrank genommen.
„Wir sind an einem Wendepunkt“, sagte der Bundestagsabgeordnete Johannes Steiniger (CDU). Er rechnet damit, dass in diesem Jahr die Weichen dafür gestellt werden, ob die Konsolenkicker offiziell als Sportler anerkannt werden. Vor allem die Politik selbst ist dabei vorgeprescht. So haben Union und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart: „Wir werden E-Sport künftig vollständig als eigene Sportart mit Vereins- und Verbandsrecht anerkennen.“ Sogar eine Olympiateilnahme will die große Koalition unterstützen.
Sport oder kein Sport?
Bei den Sportverbänden hat das freilich für Irritationen gesorgt. „Wir lassen nicht von der Politik bestimmen, was Sport ist“, sagte Christian Sachs, der in Berlin das Büro des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) leitet. Und auch Politiker Steiniger musste die Autonomie des Sports einräumen: „Die Entscheidung über eine Anerkennung liegt nicht bei uns im Bundestag.“ Doch zumindest hat die Initiative den Druck auf die Sportverbände noch einmal erhöht. Der DOSB hat nun eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die bis zum Herbst Empfehlungen zu einer möglichen Anerkennung abgeben will.
Sport oder kein Sport? Dafür sprechen der Wettbewerbscharakter, das regelmäßige Training und die Schulung von kognitiven und sozialen Fähigkeiten. Titel wie League of Legends werden gemeinsam gespielt, die Teamtaktiken mithilfe von Videoanalysten verfeinert. Sie sind sogar komplexer als klassische Strategiespiele wie Schach oder Go, sodass selbst die stärkste Künstliche-Intelligenz-Software in diesem Fall dem Menschen noch unterlegen ist.
Doch das Argument hilft gegenüber dem DOSB wenig, denn der hält von Denksport nicht viel. „Nach heutigen Kriterien würde der Schachbund auch kein Mitglied mehr werden können“, sagte Sachs. Der Verband setze ein gewisses Maß an motorischen Tätigkeiten voraus. Die Unterstützer halten dagegen, dass E-Sportler bis zu 400 Bewegungen pro Minute ausführen. Mit dem Hochgeschwindigkeitstastendrücken stellten sie motorisch jeden Sportschützen in den Schatten und auch sonst sei die Hand-Auge-Konzentration oder das Stresslevel mit den Leistungen beim Schießen oder Motorsport vergleichbar.
Und so haben auch viele kleine Sportvereine keine Berührungsängste und wollen E-Sports-Abteilungen aufmachen, um wieder mehr Nachwuchs zu gewinnen. Viele Spieler würden es ebenfalls begrüßen, ihr Hobby gemeinsam mit anderen zu festen Zeiten und mit Trainer auszuüben. „Wir können viel von den Strukturen im klassischen Sport lernen“, sagte Jan Pommer vom neu gegründeten E-Sport-Bund Deutschland.
Für Amateurclubs geht es um die Gemeinnützigkeit
Auch in Steinigers Pfälzer Wahlkreis hätten sich schon Dorfclubs an ihn gewandt, berichtete der Abgeordnete. Doch da in der Satzung in der Regel die Förderung des Sports festgelegt ist, drohe ein Amateurverein die Gemeinnützigkeit zu verlieren, solange der Bildschirmsport nicht als solcher anerkannt ist. Um solche Probleme zu umgehen, könnte aber auch die Abgabenordnung angepasst werden und E-Sport explizit als Sport hinzugefügt werden.
Doch selbst wenn sich die Sportverbände dem E-Sport öffnen, ist eine große Frage, wie weit sie dabei gehen. Schließlich sind die Spiele im E-Sport so vielfältig wie klassische Sportdisziplinen. Vereine und Verbände zeigen sich derzeit gegenüber Sportsimulationen wie FIFA relativ offen. Die klassischen E-Sport-Titel wie League of Legends haben es deutlich schwerer. Wenn in Spielen Gegner eliminiert würden, sei das mit den Werten des Sports nicht vereinbar, sagte Sachs. Und auch Hertha fokussiert sich wie die meisten Clubs zunächst auf Bildschirmfußball. „Alles andere ist zu weit von uns weg“, sagte Manager Schmid. Es wäre wohl auch den Fans schwer zu vermitteln. Die zeigen auch so schon Banner mit Sprüchen wie „Kiezsport statt E-Sport“.