Schalke 04 trainiert seine Monster in Berlin
Ein roter Teppich liegt auf den Marmortreppen, die zum Trainingszentrum von Schalke 04 führen. Es ist eine große Altbauwohnung in Berlin-Charlottenburg. Der Fußballclub aus dem Ruhrpott hat hier am Savignyplatz sein Quartier aufgeschlagen, um bei der möglichen Zukunft des Sports ganz vorn dabei zu sein.
Das Team von Schalke steckt gerade mitten in einem Trainingsspiel. Die fünf jungen Männer sitzen nebeneinander, ihre Finger klicken in irrwitzigem Tempo auf Computertastatur und Maus. Auf den Bildschirmen vor ihnen flitzen bunte Kreaturen umher, Drachen speien Feuer, Krieger schlagen mit Schwertern auf andere Kämpfer ein. „Versteck dich, sie kommen!“, ruft ein Spieler. Überall zucken Flammen auf und leuchten blaue oder grüne Blitze. „Ich helfe dir“, sagt ein anderer, als ein Monster seine riesige Keule schwingt. Es ist schwer, den rasanten Kämpfen zu folgen, zum Glück steht ab und an „Schalke04“ über den Kreaturen, sonst wäre es kaum möglich, mitzubekommen, wer hier überhaupt für den Traditionsverein streitet.
Das größte Onlinespiel der Welt
Sie kämpfen um die Krone des Computerspiels „League of Legends“, das jeden Monat von mehr als 100 Millionen Menschen weltweit gezockt wird. Es ist damit das größte Onlinespiel der Welt. Wenn sich die besten Profispieler messen, verfolgen bis zu 50 Millionen Fans die Partien zu Hause am Computer. Damit ist „LoL“, wie es die Fans einfach nennen, auch der wichtigste Titel im eSports. Lange galt das professionelle Videospielen als Kuriosität in Asien. Doch längst hat sich eSports zum weltweiten Jugendphänomen entwickelt. Selbst die deutsche Politik hat das erkannt und im Koalitionsvertrag vereinbart, die professionelle Zockerei als Sport anzuerkennen. Sogar eine Olympiateilnahme will die Große Koalition unterstützen.
Immer mehr Fußballclubs starten eSports-Aktivitäten. „Wir wurden gefühlt fast täglich von Sponsoren darauf angesprochen“, sagte Daniel Schmid, Manager von Hertha BSC, kürzlich beim ersten eSports-Gipfel in Berlin (LINK http://digitalpresent.tagesspiegel.de/sind-computerspiele-wirklich-sport). Daher haben die Berliner gerade eine Akademie eröffnet, um dort eigene Talente auszubilden. Mehr als 2000 Jugendliche haben sich in Qualifikationsturnieren gemessen. Allerdings spielt der Hertha-Nachwuchs nur die Fußballsimulation „FIFA“. Die Verantwortlichen haben sich zwar auch „LoL“ angeschaut. „Ich konnte dem Spiel nicht folgen und habe es nicht verstanden“, räumt Schmid ein. Die Sorge war daher, dass es auch den traditionellen Fans nicht zu vermitteln wäre, die ohnehin gegen die Digitalisierungsoffensive protestieren. So beschränken sich die meisten Fußballclubs auf die virtuelle Erweiterung ihres Stammsports. Schalke ist da eine große Ausnahme. Der Club war nicht nur deutscher Vorreiter beim eSports, sondern agiert auch am konsequentesten, indem es zwar auch mit einem „FIFA“-Fußballteam, vor allem aber in der populärsten Digitalsportart „LoL“ antritt. Schließlich ist Bildschirmfußball in der Welt des eSports eine Randsportart, die „LoL“-Stars füllen dagegen große Hallen. „Vom Entertainmentfaktor kann das fast manche Bundesligaspiele in die Tasche stecken“, räumt Hertha-Manager Schmid ein.
Schalke trägt seine Heimspiele in Berlin aus
Ein großes Spektakel gibt es auch regelmäßig in Berlin-Adlershof, wenn mehrere Hundert Fans den Spielern von Schalke zujubeln. Denn der Club aus Gelsenkirchen trägt seine Heimspiele in Berlin aus, wo derzeit wieder die „Europe League of Legends Championship“ stattfindet. Insgesamt zehn Mannschaften kämpfen bei der Championsleague des Digitalsports um den Titel. Die besten drei dürfen sich bei der WM mit den Topteams aus Asien und Amerika messen.
Weil der Spieleentwickler Riot Games das TV-Studio in Adlershof als Spielstätte auserkoren hat, ist Berlin zur europäischen eSports-Hauptstadt geworden. Auch die anderen Teams haben ihre Quartiere in Berlin aufgeschlagen. Ein Konkurrent hat seine Spieler gar in der gleichen Straße wie die Schalker untergebracht, sie wohnen schräg gegenüber. Allerdings leben und trainieren sie dort in den gleichen Räumen. Die Deutschen haben dagegen neben dem Trainingszentrum gleich um die Ecke eine eigene WG für die Spieler angemietet. Auch wenn sie dort in Schalke-Bettwäsche schlafen, soll das helfen, von der Arbeit abzuschalten.
„Nach Niederlagen in Trainingsspielen nimmt man den Frust nicht mit nach Hause“, bestätigt Maurice Stückenschneider. Er ist mit 24 Jahren der Veteran im Team, als einer von wenigen Deutschen hat er schon an der WM teilgenommen. Stückenschneider hatte seine Karriere schon beendet, um als Analyst und Kommentator zu arbeiten. Doch beim Zusehen juckte es ihn wortwörtlich in den Fingern. Als Schalke eine Verstärkung für die aktuelle Saison suchte, entschied er sich, wieder zur Maus zu greifen.
Die Zocker müssen nun Hanteln stemmen
Nun muss er aber auch Hanteln stemmen. Das Team hat gerade ein Trainingsspiel verloren. Die fünf Profis sind in den Nebenraum gegangen, einer schwitzt auf dem Rudergerät, die anderen machen auf blauen Matten Übungen, die ihnen Schalkes Sportpsychologe zeigt. „Das tut wirklich gut“, sagt Stückenschneider. „Ich gehöre ja schon zum alten Eisen und habe manchmal Rückenprobleme“, sagt der 24-Jährige.
Zudem helfe die körperliche Betätigung die Emotionen runterzufahren. Denn nach der Sporteinheit geht es in die Videoanalyse. Auf zwei großen Bildschirmen zeigen die beiden Trainer noch einmal die entscheidenden Szenen aus dem gerade verlorenen Spiel. Wie im Fußball geht es um Taktik und das Zusammenspiel: „Hier standest du zu weit weg vom Gegner, dort kannst du schon weiter nach oben stürmen.“ Die Spieler sollen sich auf Raumgewinne konzentrieren, predigt ihr Trainer. Gemeinsam versuchen sie, die Laufwege der Monster zu optimieren.
Das bunte Geballer mag für Außenstehende wie ein primitives Kinderspiel wirken, doch in Wirklichkeit ist es hochkomplex. „Das ist wie Schach im Team“, erklärt Cheftrainer Mitch Voorspoels. Denn gemeinsam müssen die fünf Spieler mit ihren Figuren die Basis der Gegner zerstören - und dabei die eigene verteidigen. Wo sie angreifen, wo sie Lücken lassen, wo sie zusammen vorrücken und wo sich Einzelne versuchen durchzuschlagen, wird immer wieder neu geplant und probiert.
In den Ergebnissen spiegelt sich das noch nicht wider. Von den ersten sechs Spielen hat Schalke vier verloren. Die Feinabstimmung passt noch nicht. Das liege auch daran, dass das Team noch nicht so lange zusammenspielt, sagen Spieler und Trainer. Die Laufwege der Monster stimmen noch nicht. So liegen in der Tabelle klassische eSports-Teams wie Fnatic, G2 Esports oder Misfits vorn. Damit droht sich die bisherige Pleiteserie fortzusetzen. So war Schalke gleich in der Premierensaison 2016 abgestiegen, in der Frühjahrsmeisterschaft fehlte dann ein Sieg zum Erreichen der Play-offs.
Teams müssen zehn Millionen Startgebühr zahlen
Doch die Knappen bleiben hartnäckig. Die neureichen Fußballclubs RB Leipzig oder Paris Saint Germain haben ihre ebenfalls wenig erfolgreichen Ausflüge in die Welt von „League of Legends“ nach kurzer Zeit wieder abgebrochen. Paris beklagte dabei auch die inflationär gestiegenen Spielergehälter. Inzwischen sind Summen von 50 000 Euro pro Monat nichts Ungewöhnliches.
Im Gegensatz zur Konkurrenz bleibt Schalke dran. Doch wie lange noch? Denn wenn diese Sommersaison endet wird es drastische Änderungen geben. Wie in den US-Sportligen wird der Aufstieg und Abstieg abgeschafft. Und um in dem neuen Wettbewerb teilzunehmen, ist eine Franchisegebühr an Riot Games fällig. Existierende Teams sollen laut Insidern acht Millionen Euro zahlen, Neueinsteiger sogar mehr als zehn Millionen. Die Bewerbungsfrist ist gerade abgelaufen, nun wird bis September mit allen Interessenten verhandelt. Viele Beobachter gehen davon aus, dass reiche britische Fußballclubs die Gelegenheit zum Einstieg nutzen könnten. Offiziell äußert sich Schalke noch nicht dazu, ob der Verein auch unter diesen Bedingungen dabeibleibt. Im Fokus steht derzeit nur der lang ersehnte sportliche Erfolg für die Profizocker.