Agora der Digitaldenker. Beim Digital Society Studio disuktierte Sebastian Turner (links) unter anderem mit der Europaparlaments-Abgeordneten Julia Reda (mitte) und dem Anwalt Chan-jo Jun. Foto: Anita Back

Wenn Maschinen auf Werte treffen

Das Digital Society Studio in Berlin diskutiert die Herausforderungen der Digitalisierung

Wie sollen wir die neuen Herausforderungen bewältigen, die Digitalisierung an uns als Gesellschaft stellt? Einen Tag, nachdem beim Digital Science Match über 1.000 Digitalwissenschaftler verschiedenster Disziplinen ihre technischen Fortschritte präsentierten, wurde diese Frage am Samstag beim Digital Society Studio im Café Moskau diskutiert. 180 Teilnehmer aus Forschung, Politik, Wirtschaft, Kultur und Zivilgesellschaft debattierten bei der gemeinsamen Veranstaltung von Tagesspiegel und Alfred Herrhausen Gesellschaft unter den Leitthemen Werte, Recht und Wohlstand sowohl Probleme als auch mögliche Lösungsansätze.

Matthias Spielkamp, Mitgründer von iRights und Algorithm Watch, nannte gleich zu Beginn eines der Kernprobleme: „Algorithmische Entscheidungen sind immer neutral, es sei denn, sie werden von Menschen anders gemacht.“ Dieses Spannungsfeld zwischen automatischen Abläufen und darin enthaltenen menschlichen Werten und Vorstellungen beschäftigte die Teilnehmenden während der gesamten Veranstaltung.

Desinformationsgefühle

Zum Beispiel in Bezug auf Debatten im Netz: „Wir bewegen uns auf eine Gesellschaft zu, die von etwas durchgeschüttelt wird, das ich Desinformationsgefühl nennen möchte“, sagte der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Das Lesen von Äußerungen im Netz werde immer mehr überlagert von der Frage: „Wer spricht da überhaupt?“ Sind es echte Nachrichten oder Fake News, spricht ein Experte oder ein Ideologe? Wie also Wege finden „von einem zersetzenden Misstrauen wieder zu einem vernünftigen Misstrauen“, fragte Tagesspiegel-Herausgeber Sebastian Turner. Dafür sei zuallererst ein Loslassen von abwertenden Zuschreibungen gegenüber „den anderen“ notwendig, ein „Ende von wir und ihr“, mahnte Pörksen.

Selfie-Prozess gegen Facebook

Warum es schwer ist, einen fairen Dialog ohne solide rechtliche Rahmenbedingungen in den sozialen Netzwerken zu führen, diskutierten Julia Reda (Grüne), Mitglied im Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments, und Chan-jo Jun. Der Würzburger Anwalt hat sich erst kürzlich in einem Aufsehen erregenden Prozess mit Facebook angelegt. Er vertrat den syrischen Flüchtling Anas Modamani, der in dem sozialen Netzwerk Beleidigungen und Verleumdungen über sich ergehen lassen muss. Modamani hatte in Berlin in einer Erstaufnahme-Unterkunft ein Selfie mit Bundeskanzlerin Angela Merkel geknipst. Das Bild wurde in dem Netzwerk vielfach geteilt und verfälscht. So wurde Modamani mit dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt und den Überfall auf einen Obdachlosen an einem U-Bahnhof in Verbindung gebracht.

Klare Regeln

Chan-jo Jun wollte gerichtlich durchsetzen, dass Facebook von sich aus tätig werden muss, solche Verleumdungen aus dem Netz zu nehmen. Das Landgericht Würzburg urteilte dagegen. Auf eine Berufung verzichtete der Syrer. Wie Jun erzählte, lag das vor allem daran, dass er persönlich üble Morddrohungen über Onlinekanäle bekam und die Polizei seinen Hinweisen nicht nachging. Er bekam Angst um seine Familie. Es müssten dringend klare Regeln auch gegenüber Plattformen wie Facebook durchgesetzt werden, forderte er.

Wohlstand für wen?

Wie Digitalisierung zu mehr Wohlstand beiträgt, diskutierten vor allem Julia Kloiber von der Open Knowledge Foundation und Christoph Keese von Axel Springer mit Verve. Während Keese anmerkte, dass Digitalisierung „zweifellos eine neue Welle des Wohlstandswachstums“ auslöst, warnte er auch, dass die Verteilung davon noch unklar sei. Es gebe eine Gruppe von Menschen, die sich berechtigterweise von der Wohlstandsmehrung ausgeschlossen fühlt. Dafür müssten dringend Lösungen gefunden werden. Vielleicht ja dadurch, dass der Einsatz für die Gesellschaft und gute Ideen an sich wieder stärker gefördert werden, anstatt den Fokus ausschließlich auf Gründungen und Wachstum zu legen, schlug Kloiber vor.

Beim Digital Society Studio gab es in jedem Falle genug gute Ideen, auf deren baldige Umsetzung man nur hoffen kann.