Wie intelligente Kleidung unser Leben verbessern soll
Silberne Fäden glitzern in der beigefarbenen Strickjacke, die über einer Schneiderbüste hängt. „Eine Notfalljacke aus dem Bereich Smart Seniors“, sagt Berit Greinke. Die Designerin arbeitet mit anderen Textilforschern der Universität der Künste (UdK) in Berlin an der Zukunft der Kleidung. Die glänzenden Metallfäden im Stoff der Jacke bilden eingenähte Schaltkreise. Sie leiten Informationen durch das Textil – eine Fähigkeit, die irgendwann Leben retten soll. „Wenn sich der Träger ans Herz fasst oder die Ärmel zieht, wählt das Smartphone automatisch eine vorher festgelegte Notfallnummer“, erklärt die 39-Jährige die Funktionsweise des Jackencomputers.
Bereits viele Male haben Wissenschaft und Industrie in den vergangenen 15 Jahren die Ära der interaktiven Kleidung ausgerufen. 2005 beispielsweise stellte der Elektronikhersteller Philips auf der Internationalen Funkausstellung sogenannte „photonische Textilien“ vor. Bestückt mit LEDs und Sensoren prophezeite Philips den leuchtenden Stoffen viele Einsatzfelder – etwa als schillerndes Kommunikationsmittel direkt am Körper. Doch trotz aller Erwartungen blieb die digitale Revolution am Kleiderbügel bislang aus. Noch immer lassen sich die T-Shirts durchschnittlicher Konsumenten nicht als Displays verwenden und messen weder Blutdruck noch Muskelaktivität.
Im Rahmen der Fashion Week haben in Berlin wieder einige Größen der Branche auf der Fashion-Tech-Konferenz begeistert die Zukunft der Mode erörtert. Glaubt man Berliner Forschern und Designern, die schon länger an diesem Thema arbeiten, haben sich in den letzten Jahren einige Technologien weiterentwickelt, die dem digitalen Stoff der Träume doch bald zum Durchbruch verhelfen könnten.
Kleidung für Extremsituationen
In den Laboren des Fraunhofer-Instituts für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM) in Wedding sind einige Ideen für die Technik zum Anziehen zu sehen. Malte von Krshiwoblozki zeigt papierdünne, elastische Schaltkreise, die sich mit LEDs und Mikroprozessoren verbinden lassen. Und eine Jacke mit eingebautem Display. „Den Monitor könnte man sich in Polizeikleidung vorstellen“, sagt der Elektroingenieur, während er ein Wort in sein Smartphone tippt. Kurz darauf läuft ein grüner Schriftzug über den textilen Monitor. In einer anderen Vitrine liegt ein weißes, filzähnliches Gewebe, das auf Knopfdruck grell die Uhrzeit verkündet. Die eingenähte Digitaluhr war versuchsweise Teil einer Feuerwehrausrüstung – gut vor Hitze und Feuer geschützt durch den feuerfesten Kunststoff Aramid, erklärt Krshiwoblozki.
Es sind solche Anwendungsgebiete in extremen Arbeitssettings, im Gesundheitsbereich oder im Leistungssport, die den globalen Umsatz mit smarter Kleidung bis 2020 um rund ein Drittel steigern sollen. Auf bis zu fünf Milliarden US-Dollar könnten die Erträge mit Fashiontech laut dem amerikanischen Marktforschungsunternehmen MarketsandMarkets anwachsen. Angeführt von Konzernen wie Google, Adidas, BASF, Intel, Nike und Philips gibt es aber auch eine wachsende Zahl spezialisierter Hersteller wie die Interactive Wear AG aus Starnberg oder die Berliner Modelabels Elektro Couture und Moon, die hauptsächlich leuchtende Mode entwerfen.
Wissenschaft und Industrie unterscheiden dabei grundsätzlich zwischen Wearables und technischen Textilien. Wearables sind das, was man als smarte Kleidungsstücke bezeichnen würde. Aber auch Gadgets aus Textil gehören dazu. „Mit dieser Bandage hier kann man beispielsweise den Bewegungsradius des Beins messen“, sagt von Krshiwoblozki und zeigt auf einen knieförmigen Schlauch, der mit einer App verbunden ist: „So sieht der Patient live, wie gut er seine Übungen macht.“ Im Idealfall könne dann der behandelnde Arzt die Daten zeitnahe analysieren. Denn mit Sensoren direkt am Bein lassen sich Muskelbewegungen und Beugungswinkel sehr genau beziffern.
Schnittstelle zur Maschine
Wearables könnten auch in der Industrie 4.0 eingesetzt werden, „als Schnittstelle zwischen Arbeitern und Maschinen“, sagt Krshiwoblozki. Oder in besonders gefährlichen Arbeitsumfeldern wie Ölbohrinseln. Hier könnte intelligente Kleidung ständig die Vitalfunktionen überprüfen und vor Gefahren warnen. Ähnlich dem Einsatz im Hochleistungssport: „Bei verletzten Fußballern kann man live die Muskelaktivität messen und sichergehen, dass das Bein nicht übertrainiert wird.“ Spitzenvereine wie Arsenal, Bayer Leverkusen und Barcelona nutzen längst Systeme, die nicht nur die Herzrate und die Gesundheit der Spieler, sondern auch den Spielverlauf analysieren. Computer mit Kleidung zu verbinden, sei allerdings weiterhin nicht leicht, so Krshiwoblozki. Denn die Elektronik müsse flexibel sein und waschbar oder sich zumindest herausnehmen lassen.
Im Gegensatz zu Wearables, die am Körper getragen werden, hängen technische Textilien nicht im Kleiderschrank. Sie sind in Autos, Flugzeugen oder Industrieanlagen verbaut. So erkennen in Windkraftwerken biegbare, mit Sensoren bestückte Stoffe feine Risse und Brüche. Eingenäht in Lkw-Planen könnten sie Alarm schlagen, wenn jemand versucht einzubrechen.
Deutschland ist derzeit der weltweit größte Produzent dieser smarten Materialien, die in einer Welt der vernetzten Gegenstände zunehmend wichtiger werden. Aber bei „smart“ handelt es sich nicht nur um vernetzte Jacken oder Bauplanen. Manche neuen Materialien reagieren ohne Computertechnik auf Wärme, verändern ihre Form und ihr Aussehen, produzieren Energie oder geben im Tagesverlauf Medikamente an ihre Träger ab.
Eine Jacke, die unsichtbar macht
Werden solche Kleidungsstücke bald in vielen Kleiderschränken hängen? Ulrich Bauer, Professor für Bekleidungstechnik an der HTW Berlin, hat die Nachfrage nach smarter Kleidung in Deutschland untersucht. Die Ergebnisse waren ernüchternd: „Es gibt eine geringe Nachfrage, weil die Kunden oft nicht wissen, was es alles gibt.“ Ein anderes Problem ist die Stromversorgung: „Niemand möchte einen großen Akku an der Hüfte tragen.“ Weitere Probleme seien mangelndes Interesse von Investoren und der Umstand, dass Textilherstellern der Sprung hin zur Technologie finanziell zu riskant sei. Denn in der Mode sind die Gewinnmargen höher als im Elektronikbereich.
Der Blick auf die Laufstege lässt trotzdem erahnen, was passieren könnte, wenn Prozessoren noch kleiner werden und mit selbstlernender Software verbunden sind. So, wie die Kleider der japanischen Designerin Ying Gao, die leuchten, wenn sie angesehen werden, oder auf Stimmungen reagieren – passend zu den Gefühlen ihrer Träger. Berit Greinke führt den Gedanken fort: „Man könnte sich mit 60 eine Jacke kaufen, sie 10 Jahre tragen, dann hat sie genug gelernt, dass sie einen erinnern kann, wenn man etwas vergisst.“ Ihr größtes Forschungsprojekt ist allerdings noch spektakulärer: Sie forscht an Kleidung, die unsichtbar machen soll. Was nach Science-Fiction klingt, könnte durch sogenannte Metamaterialien möglich werden, die Materialforscher bereits entwickelt haben. Dabei handelt es sich um Stoffe, die Lichtstrahlen um das Textil herumleiten. Bis jeder seinen eigenen Tarnumhang im Schrank hat, sei es aber noch ein weiter Weg, räumt die Wissenschaftlerin ein.