Smart New World
“Mir scheint, dass es technisch ein kompliziertes Gerät ist“, kommentierte die IT-Expertin Molly Wood die Vorstellung des ersten iPhones am 9. Januar 2007 in einem Interview. Nur vier Knöpfe und einen großen Bildschirm konnte das neue Gerät vorweisen. Die Wahl sei auf das „Navigationsmittel gefallen, mit dem wir alle geboren sind”, hatte Steve Jobs zuvor in der Präsentation erklärt: „die Finger”. Wood zeigte sich auch diesbezüglich skeptisch. Das Display „könnte permanent mit Fingerabdrücken bedeckt sein, es könnte auch leicht zerbrechen”, warnte sie.
Beide sollten recht behalten: Unsere Smartphones sind voller Fingerabdrücke. Vielen ist der Bildschirm zerbrochen. Die mobile Revolution hat das aber nicht aufgehalten. Zehn Jahre später bestreitet niemand, dass das iPhone die Beziehung zwischen Mensch und Computer grundlegend verändert hat, wie auch die Beziehung zwischen Menschen.
Der Zwang, nachzuschauen
Der deutsche Smartphone-Nutzer schaut im Durchschnitt jeden Tag 88 Mal auf sein Handy. 78 Prozent der Deutschen nutzen nach einer Erhebung des Technologieverbandes Bitkom so ein Gerät. Vor zwei Jahren waren es noch 50 Prozent. Selbst unter Senioren ist der Nutzeranteil inzwischen auf 39 Prozent gestiegen. Unter den 14- bis 29-Jährigen sind es 93 Prozent. Smartphones sind selbst in die kleinsten Ritzen unseres sozialen Gefüges gedrungen. Kaum ein Abendessen vergeht, ohne dass einer sein Gerät zückt. Wer wann auf sein Handy schauen darf, ist in vielen Familien zum Dauerkonflikt geworden. In der U-Bahn haben nur noch wenige Buch oder eine gedruckte Zeitung in der Hand.
„Der größte Wandel ist dabei der Wechsel zur Allgegenwart der Vernetzung”, meint die Informationswissenschaftlerin Britta Oertel vom IZT — Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung in Berlin. „Man ist überall verfügbar, hat fast schon den Zwang, immer nachzuschauen.” Die meisten Nutzer schalten ihre Geräte nicht einmal mehr nachts ab, man ist immer online, die ständige Erreichbarkeit ist zur Normalität geworden. Die Grenzen zwischen Arbeit und Privatem verwischen sich auf dem Bildschirm. Das süße Bild des Nachwuchses ist auf der Arbeit genauso nur einen Klick entfernt wie die nervenaufreibende Mail des Chefs auf dem heimischen Sofa.
Hundegesichter statt Postkarten
Dazu beigetragen haben neben dem E-Mail-Zugang vor allem die sogenannten Messenger-Apps wie WhatsApp, Skype und Dutzende unbekanntere Apps. Ob Sprache, Text, Bild oder Video verschickt werden, ist diesen Plattformen egal. Es sind nur unterschiedliche Datenformate. Aus dem Urlaub anzurufen, ein Foto zu schicken oder eine Postkarte zu schreiben, ist keine Wahl mehr zwischen den Orten Telefonzelle, Fotolabor und Briefkasten, sondern eine Sendeoption. Es entwickeln sich so immer mehr unterschiedliche Kommunikationstypen, die stark nach Altersgruppen variieren, sagt Oertel. Ältere telefonieren noch häufiger. Vor allem junge Menschen aber passen ihre Kommunikation stärker den Möglichkeiten des Smartphones an. Zum Beispiel Snapchat. Während die Generation Ü50 diese App kaum kennt, nutzen 70 Prozent der Zehn- bis 27-Jährigen die Möglichkeit, Videoschnipsel hin- und herzuschicken oder sich Hundegesichter ins Gesicht zu malen. Das Unternehmen dahinter wird auf einen Wert von 25 Milliarden Dollar geschätzt. WhatsApp auf 20 Milliarden.
Messenger-Apps sind nur ein Beispiel dafür, wie Smartphones komplett neue Branchen geschaffen haben und andere über Nacht in den Ruin rissen. Zwar ist Apple mit einem Firmenwert von knapp 640 Milliarden Dollar (608 Milliarden Euro) immer noch das wertvollste börsennotierte Unternehmen der Welt. Doch auch andere Unternehmen programmierten sich auf der Basis von Smartphones innerhalb weniger Jahre mit an die Spitze der Weltwirtschaft. Während die CD-Absätze in den Boden stürzten, schaffte die Firma Spotify eine Plattform für Musik, die inzwischen von mehr als 100 Millionen Menschen weltweit genutzt wird. Während Videotheken eine nach der anderen ihre Vitrinen räumten, brachten YouTube, Netflix und Vimeo Filme auf PCs und Smartphones.
Wandel zur Location
Schon das erste iPhone verfügte über eine Kartenfunktion. Heute senden die Geräte kontinuierlich unseren Aufenthaltsort. Während Messenger auch ohne Smartphones funktionieren, sind andere Geschäftsmodelle nur deshalb möglich. Der Fahrdienst Uber basiert darauf, dass jeder mit einem Handy sowohl seinen Standort mitteilen als auch Daten empfangen kann. Statt eines Taxameters, das sich auch mal überlisten ließ, brauchen Fahrer heute nur noch ein Auto und ein Handy. Sie finden ihre Kunden, weil diese ihren Ort senden können. Auf diesem Prinzip der Plattformwirtschaft basieren auch Lieferdienste wie Deliveroo oder Foodora. Kunde, Anbieter, Arbeitnehmer, sie alle finden sich problemlos mit einem Gerät, das sie sowieso bei sich haben. Unternehmen und ihren Investoren geht es darum, die wichtigste Plattform für die Vermittlung möglichst zentraler Dinge und Dienstleistungen des Alltags zu sein. Und die darauf generierten Daten zu nutzen. Je mehr, desto Dollar.
Das hat auch die Werbewirtschaft erkannt. Durch die Analyse von Bewegungsprofilen kann ausgerechnet werden, wo in der Stadt Werbeplakate für bestimmte Produkte am sinnvollsten sind. „Während Profiling durch Smartphones eine völlig neue Dimension bekommen hat, gibt es eben auch sehr sinnvolle Erhebungsmöglichkeiten”, sagt Oertel. Verschüttete in Katastrophengebieten finden zum Beispiel. Oder auch ein Vergleich der Energieeffizienz verschiedener Waschmaschinen direkt im Laden. Das ermöglicht mehr Transparenz für den Verbraucher, meint Oertel.
Reise zum Körper
Die Reise der iPhones und ähnlicher Geräte in die Mitte unseres Lebens ist noch lange nicht am Ende. Seit Apples Betriebssystem iOS 8 ist ein neuer Wandel im Gange: Smartphones sammeln nicht nur unseren Aufenthaltsort, sondern auch Körperfunktionen. Den Puls kann das iPhone schon messen – und durch Verbindung mit weiteren Geräten von der Armbanduhr über intelligente Zahnbürsten bis hin zu Ganzkörperanzügen und Insulinmessgeräten wollen Apple und Co. das Smartphone auch zur Gesundheitszentrale machen. Das kann neue Therapieformen bei Krankheiten ermöglichen, Frühwarnsysteme für spätere Leiden, ein völlig anderes Leben. Ob es ein besseres ist, steht auf einem anderen Schirm.