Das Leben der Menschen in menschenleeren Räumen. Kürzlich postete Mark Zuckerberg auf Facebook erstmals Fotos von den gigantischen Serverparks des Konzerns. Doch wer kontrolliert die Inhalte? Foto: Mark Zuckerberg/facebook

Wer regiert das Netz?

Plattformen wie Facebook, Google & Co. bestimmen unser Leben. Kann man das ändern? Das wurde auf der Konferenz "Internet Rules" diskutiert.

Etwas verloren stehen die fünf jungen Männer auf dem Vorplatz der Humboldt-Universität und beratschlagen auf Englisch. Palais, Statue, Bäume, alles sehr eindrucksvoll, aber wo könnte sich hier das Audimax verstecken …? Wissenschaftliche Konferenzen folgen ihren eigenen Gesetzen. Man sucht immerzu Veranstaltungsräume, trägt alberne Namensschilder (neudeutsch: Badges) um den Hals, trinkt viel zu viel Kaffee, erträgt stickige Luft, störrische Beamer und fehlende Mikrofone. Trotzdem käme niemand auf die Idee, sich zu beklagen. Wer Dialog und Austausch will, muss da jetzt durch.

Doch gilt das auch fürs Internet? Müssen die Räume und Regeln, die die Nutzer dort vorfinden, ebenfalls klaglos hingenommen werden? Um diese Kernfrage kreist seit Donnerstag die Konferenz „Internet Rules“, für die 570 Forscherinnen und Forscher auf Einladung der „Association of Internet Researchers“ (AoIR) nach Berlin gekommen sind. Seit 17 Jahren tourt die interdisziplinäre Konferenz um die Welt, nun ist sie zum ersten Mal in Berlin. Ausrichtender Gastgeber ist das Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG).

Plattform & Mainstream

Dass der Andrang in diesem Jahr so groß ist wie nie zuvor, hat nicht nur mit der besonderen Anziehungskraft der Stadt zu tun, sondern auch damit, dass immer mehr Wissenschaftler sich dafür interessieren, wie das Internet die Welt verändert. Was um die Jahrtausendwende noch eine Spielwiese von wenigen Nerds war, ist im universitären Mainstream angekommen.

In der Eröffnungsrede am Mittwochabend rammte José van Dijck, Professorin für Medienwissenschaften an der Universität Amsterdam, gleich mal ein paar Pflöcke in den Boden. Die „Plattformisierung des Internets“ sei weit fortgeschritten, wenige große Unternehmen strukturieren und lenken den globalen Datenverkehr im Netz. Um sie herum haben sich Dutzende Branchen und Dienstleistungen angeordnet, Anbieter aus dem Bereich Konsum, Kommunikation, Gesundheit, Mobilität oder Wohnen wollen ihr Stückchen vom Kuchen ergattern.

Die Macht zurückerobern?

Dieses komplexe Ökosystem, das über vielfältige wirtschaftliche Abhängigkeiten miteinander verwoben ist, bildet den Raum, in dem die Nutzer agieren können. Nach den Bedingungen der Plattformbetreiber, versteht sich. Aber nicht nur die digitale Sphäre werde von den „Big Five“ Google, Microsoft, Apple, Facebook und Amazon regiert, sagte van Dijck. „Längst gibt es Rückwirkungen auf das öffentliche Leben.“ Siehe den Fahrdienst Uber oder die Privatzimmervermittlung Airbnb, die das Zusammenleben in den Großstädten bereits verändert haben. Gesellschaftliche Werte könnten durch die disruptiven Geschäftsmodelle der Netzunternehmen nachhaltig untergraben, die demokratische Souveränität ausgehöhlt werden. „Wir müssen lernen zu verstehen, wie uns die Plattformen regieren – und wie wir es im Gegenzug wieder schaffen können, sie zu regieren“, forderte van Dijck.

Eine große Aufgabe für die Wissenschaft. Auch wenn das Thema Internet Governance mittlerweile in allen Disziplinen angekommen ist, steht die Forschung doch noch am Anfang. Das geht schon bei den Methoden los. Wie sollen Medien- und Sozialwissenschaftler, Juristen, Ökonomen oder Politologen überhaupt die Auswirkungen des Netzes auf die Gesellschaft fundiert erforschen? Die Daten, die dafür nötig wären, gehören zum wichtigsten Kapital der Internetunternehmen und sind nicht zugänglich. Die Algorithmen, die unter der Oberfläche lenken, was dem einzelnen Nutzer auf seinem Bildschirm dargeboten wird, schon gar nicht. Zum Beispiel Facebooks viel diskutierte Filterblase im News Feed – wie funktioniert sie und was bewirkt sie? „Wenn man das als Forscher untersuchen möchte, steht man erst mal vor verschlossenen Türen“, sagt Kommunikationswissenschaftler Christian Katzenbach vom Berliner HIIG.

Fehlende Rohdaten

Die Klage über die fehlenden Rohdaten zieht sich wie ein roter Faden durch die Konferenz. Aber was hilft’s? Weil die Unternehmen vermutlich auch in Zukunft wenig auskunftswillig sein werden, muss die Wissenschaft notgedrungen andere Wege finden. Die 214 Forscher aus mehr als 30 Ländern, die ihre aktuellen Projekte in kurzen Vorträgen vorstellten, taten das auf vielfältige Weise. Manche wählten die Diskursebene, werteten also aus, wie im Netz über bestimmte Themen gesprochen wird. Andere führten ausführliche Interviews mit Nutzern. Oder experimentierten mit fiktiven Accounts, um so Rückschlüsse auf die Funktionsweise der Algorithmen ziehen zu können. Wieder andere näherten sich über Beobachtungen und Beschreibungen dem Treiben im Netz.

Internetforschung ist mühsam – das wurde bei der Konferenz deutlich. Wer sie betreiben will, muss empirische Fleißarbeit leisten und im Kleinen ansetzen. Dabei kann alles zum Gegenstand des Interesses werden: der neue Herzchen-Like-Button von Twitter wie die wöchentliche Empfehlungsliste bei Spotify, die gefakten Frauenprofile auf einer Datingplattform oder das verschämte Sich-Entfreunden in sozialen Netzwerken. Aber auch wenn sich überall Hinweise darauf finden, wer wie wen lenkt oder manipuliert – für eine große neue Interneterzählung scheint die Zeit noch nicht reif.

„Wir füttern die Bestie immer weiter!“

Liegt das vielleicht auch daran, weil die Medienwissenschaftler gar nicht wirklich in die Tiefen ihres Untersuchungsgegenstandes vordringen können? Warum befragt man nicht lieber die „Architekten“ des Netzes, die Informatiker und Programmierer? Möglicherweise könnten sie fundierter Auskunft geben über die gesellschaftlichen Auswirkungen ihrer Schöpfungen. Diesen naiven Gedanken wies Kate Crawford, leitende Wissenschaftlerin bei Microsoft Research und Gastprofessorin am MIT Center for Civic Media, vehement zurück: „Die verstehen doch selbst nicht mehr, was da passiert!“ Bei der öffentlichen Paneldiskussion am Donnerstagabend war sich das – ausnahmsweise durchweg weiblich besetzte – Podium einig: Die Plattformen, die Algorithmen, die durch künstliche Intelligenz gesteuerten Systeme, sind aber selbst schier unbeherrschbar.

Aktivistin Fieke Jansen vom Tactical Technology Collective hob angesichts dieser betrüblichen Erkenntnis zu einer flammenden Rede an: „Wir müssen uns ganz selbstkritisch fragen: Wie konnte es so weit kommen?“ Da sei sie nun, die zentralisierte digitale Welt, die niemand herbeigesehnt habe und die vielen Nutzern latente Bauchschmerzen bereite. Und dennoch: „Wir füttern die Bestie immer weiter!“

Das fehlende Gesamtbild

Auf der Berliner Konferenz wurde auch das klar: Den Wissenschaftlern ist durchaus bewusst, welche wichtige Rolle ihnen in den aktuellen Netzdebatten zukommt. Aber noch halten sie wenig Evidenz in ihren Händen. Das ist ein Problem. Denn Öffentlichkeit und Politik lechzen nach neuen Erkenntnissen, nach den großen Zusammenhängen, dem Big Picture der digitalen Gesellschaft. Wenn die Black Box namens Internet erst geöffnet und ausgeleuchtet ist, dann – so auch die Hoffnung in Berlin – kann man endlich effektive staatliche Steuerungsmaßnahmen entwickeln. Die richtigen Hebel ansetzen. Zu demokratischer Kontrolle und Regulierung scheint es ohnehin keine Alternative mehr zu geben. Aber wie das Internet konkret „regiert“ werden könnte, darauf haben auch die profiliertesten Netzforscher derzeit noch keine Antwort.



Mehr Infos zum Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft:

Am Anfang standen: ein klingender Name, ein ehrwürdig anmutendes Logo, ein kleines Büro am Bebelplatz – und ein Batzen Geld von Google. Als das Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) 2011 gemeinsam von der Humboldt-Universität, der Universität der Künste und dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung in Kooperation mit dem Hans-Bredow-Institut Hamburg gegründet wurde, gab es durchaus kritische Stimmen. Vor allem der prominente Geldgeber warf Fragen auf: Sollte hier unter dem Deckmantel der Wissenschaft auch politische Lobbyarbeit betrieben werden? Lange wehrten sich die HIIG-Forscher gegen den Spitznamen „Google-Institut“, verwiesen immer wieder auf ihre inhaltliche Unabhängigkeit.

Die Themen, die das schnell wachsende HIIG-Team unter der Leitung der Institutsdirektoren Ingolf Pernice, Jeanette Hofmann, Thomas Schildhauer und Thomas Schultz auf seine Tagesordnung setzte, waren vor allem juristische und wirtschaftspolitische. Die aktuellen Forschungsbereiche umfassen: internetbasierte Innovationen, Internet- und Medienregulierung, Internet Policy und Governance und Globaler Konstitutionalismus. Am Institut, das seinen Sitz mittlerweile in der Französischen Straße 9 hat, arbeiten zurzeit rund 50 feste Mitarbeiter, dazu kommen weitere 30 Gastforscher. Google finanziert das Institut weiterhin mit 1,5 Millionen Euro jährlich, aber namhafte andere Geldgeber sind hinzugekommen: 2015 konnte das HIIG über 600 000 Euro Projektmittel einwerben, unter anderem von Bundesministerien und Stiftungen.

Als Akteur im öffentlichen Diskurs hat sich das HIIG von Anfang an verstanden. Regelmäßig finden Diskussionen und Tagungen statt, werden Bücher, Zeitschriften, Blogbeiträge publiziert. Seit 2013 gibt es außerdem die Start-up-„Clinic“, bei der junge Gründer mit Forschern in Kontakt kommen. Pünktlich zum fünften Geburtstag ist für das HIIG ein besonderer Wunsch in Erfüllung gegangen: Die „Association of Internet Researchers“ (AoIR), wichtiger Treffpunkt der internationalen Internetforschung, fand erstmals in Berlin statt.