Digitaler Durchbruch? Digitalisierung spielt im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag eine zentrale Rolle. Foto: IStock/ Illustration: Bartel/ Montage: Mietke

Wie smart ist der neue Senat?

Digitalisierung steht auf der Prioritätenliste der neuen Regierungskoalition ganz oben – nicht nur in der Wirtschaftspolitik.

Es ist ja schon mal kein schlechter Start, sich bei einem kühlen Bierchen näher kennenzulernen. Als die neue Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) während des Wahlkampfes im Sommer auf Startup-Tour ging, machte sie deshalb auch bei Berlins erster Pop-Up-Brauerei BRLO Brwhouse am Gleisdreieck Halt. Sie diskutierte mit Gründerin Katharina Kurz unter anderem über Kiezkultur und welche Rolle Startups dabei spielen können. Solche Termine werden künftig häufiger auf Pops Programm stehen, denn als neue Wirtschaftssenatorin ist sie künftig auch für Digitalisierung zuständig – und damit für eines der wichtigsten Zukunftsthemen der Hauptstadt.

Alle 20 Stunden wird in der Berliner Digitalwirtschaft ein neues Unternehmen gegründet, keine andere Stadt in Deutschland ist bei Gründern wie Investoren so beliebt – im ersten Halbjahr erhielten 122 Startups 520 Millionen Euro Investorenkapital, mit weitem Abstand folgt Bayern, wo 42 Startups 194 Millionen Euro einsammeln konnten – doch im europaweiten Vergleich hat die Hauptstadt ihre Spitzenposition als Startup-Metropole an London verloren und kommt nur noch auf Platz vier, wie eine Studie der Beratungsgesellschaft Ernst & Young zeigt.

Konsequent für Digitalisierung

Für die neue rot-rot-grüne Regierung unter dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) also ein wichtiges Signal, sich nicht auf dem bisherigen Erfolg ausruhen zu dürfen. Das ist ihr offensichtlich bewusst, denn im Koalitionsvertrag heißt es, dass „die Herausforderungen der Digitalisierung“ zu den „Prioritäten“ der Koalition gehören – und wer sich die Details ansieht, stellt fest, dass bisher wohl keine andere Landes- und auch nicht die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag so konsequent auf Digitalisierung setzt. Nicht nur in der Wirtschaftspolitik, sondern auch in Bereichen wie Schule, Wissenschaft, Verwaltung oder Mobilität. Sicher, es sind zunächst nur Vorhaben, doch allein das Bewusstsein für diese Notwendigkeit lässt auf konkrete Umsetzung hoffen.

Geschaffen werden soll beispielsweise die neue Position eines Digitalchefs, eines „Koordinators Digitales Berlin“, wie es im Koalitionsvertrag heißt. Wer das Amt übernimmt, ist noch nicht offiziell bekannt, dafür aber ihre oder seine Aufgaben, nämlich: Die „verschiedenen digitalisierungsrelevanten politischen Aktivitäten mit den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Akteuren“ zu koordinieren.

Open Data aus der Kulturszene

Damit bleibt die Regierung zwar hinter den Forderungen wie etwa des Bundesverbands Deutscher Startups nach einem „Digitalsenator“ zurück, doch ist immerhin eine zentrale Stelle geplant, von der aus die verschiedenen Digitalisierungsprozesse gesteuert werden sollen. Neu ist die Idee allerdings nicht, in Städten wie New York wird bereits seit Jahren ein solcher „Chief Digital Officer“ (CDO) beschäftigt, ebenso in vielen Unternehmen.

Hervorzuheben aus dem Koalitionsvertrag ist auch die Open-Innovation-Strategie, die die Koalition entwickeln will. So sollen beispielsweise auch Berliner Kultureinrichtungen dazu „verpflichtet“ werden, „Digitalisate – wo rechtlich möglich – unter Freien Lizenzen als Open Data zu veröffentlichen“. Solche frei zugänglichen Daten sollen es ermöglichen, dass neue Geschäftsmodelle leichter entwickelt werden können.

Breitband für Schulen

Auch die digitale Infrastruktur soll unter Senatorin Pop, die ihr Amt voraussichtlich am 8. Dezember von ihrer Vorgängerin Cornelia Yzer (CDU) übernimmt, weiter ausgebaut werden. Schulen sollen mit „schnellen und leistungsfähigen Breitbandanschlüssen“ sowie W-Lan ausgestattet werden. Berlinweit wird ein „Glasfaserausbau mindestens bis zur Grundstücksgrenze“ angestrebt, der neue Mobilfunkstandard 5G soll bis 2019 verfügbar sein, dazu soll ein berlinweites Angebot an öffentlichen W-Lan-Zugängen geschaffen werden – die bisher frei verfügbare Hotspots funktionieren nicht reibungslos. Umso interessanter ist deshalb das Vorhaben der Regierung, sich auf Bundes- und Europaebene für die „vollständige Beseitigung der Störerhaftung“ einsetzen zu wollen.

Zu den zentralen Vorhaben gehört ebenso die Digitalisierung der Verwaltung. Abläufe „von der Antragstellung bis zur Zustellung eines Bescheides“ sollen künftig „online abgewickelt werden können“, heißt es im Vertrag. Für Florian Nöll, Chef des Bundesverbands Deutscher Startups, eines der wichtigsten Ziele: „Aktuell ist Berlin Hauptstadt der Digitalen Wirtschaft und Failed State der Digitalen Verwaltung“, sagt er.

Die Behörden müssen Englisch lernen

Nicht nur die internen, sondern auch und gerade die externen Prozesse müssten schneller, einfacher und barriereärmer gestaltet werden. „Gerade Startups leben von schnellen Prozessen. Wenn es Wochen dauert, bis ein simpler Antrag bewilligt, ein Termin gemacht oder ein ausländischer Mitarbeiter alle Dokumente beisammen hat, um in diesem Startup arbeiten zu dürfen, ist es ein Nachteil im internationalen Wettbewerb“, betont Nöll. Weiter müsse es möglich sein, alle Behördengänge in englischer Sprache zu machen. Schon heute würden 40 Prozent der Mitarbeiter in Startups nicht aus Deutschland kommen. Wenn der Digital-Standort Berlin von Brexit und der Trump-Wahl profitieren wolle, müsse auch die Verwaltung entsprechend international aufgestellt sein.

Michael Rotert, Vorstandsvorsitzender des Verbands der Internetwirtschaft Eco, begrüßt, dass die rot-rot-grüne Koalition „netzpolitischen Themen viel Raum einräumt“. Doch müsse in vielen Bereichen, beispielsweise bei der digitalen Verwaltung oder der digitalen Bildung, auch weitergedacht werden. „Es wird nicht reichen, entsprechende Technik zur Verfügung zu stellen, sondern das Personal in Verwaltung und Schulen muss auch entsprechend weitergebildet werden, um diese Technik richtig anzuwenden. Andernfalls hat Berlin am Schluss wieder viel Geld für etwas ausgegeben, was am Ende keiner nutzen kann.“

London überholen?

Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg, fordert, Schwerpunkte bei den Investitionsentscheidungen zu setzen: „Das ist im Koalitionsvertrag erst in Ansätzen zu erkennen. In kaum einem Bereich wäre das Geld sinnvoller investiert.“ Ziel der Koalition müsse sein, Berlin zu Europas wichtigstem Standort für Digitalisierung zu machen.

Noch hat London allerdings die Nase vorn. Die neue Wirtschaftssenatorin Ramona Pop dürfte das möglichst schnell ändern wollen. Zusammen mit dem neuen Digitalchef für die Hauptstadt.