Wenn Autos gesund machen
Wer sein Auto aufmotzen will, der kann heute wählen zwischen bequemeren Sitzen, einer besonderen Soundanlage und extra vielen PS. Künftig wird das Angebot deutlich größer, denn Autos sollen zu rollenden Wellness- und Gesundheitsmobilen werden. Die Wagen messen dann beispielsweise Herzfrequenz, Atemrhythmus und Blutzuckerspiegel des Fahrers. Ist er gestresst, starten sie die Massagefunktion – und sogar der Arzt kann über einen Bildschirm konsultiert werden. „Automotive Health“ nennt sich dieses neue Geschäftsfeld, in das viele große Autohersteller investieren – und sich dafür auch mit Startups und Gründerzentren aus Berlin zusammentun.
Wie mit dem Flying Health Incubator, der seinen Sitz in der Friedrichstraße in Mitte hat und vergangene Woche offiziell eröffnet worden ist. Gründer Markus Müschenich, früher Kinderarzt in der Intensivmedizin, vernetzt hier Startups aus dem Bereich Digital Health mit Krankenkassen wie der Barmer und Signal Iduna, mit Krankenhäusern wie den Sana Kliniken und dem Unfallkrankenhaus Berlin und großen Firmen wie Pfizer. So können die jungen Firmen ihre Ideen gleich auf Praxistauglichkeit testen, die etablierten Firmen kommen leichter an innovative Ideen. Ein Gründungspartner des Incubators fällt dabei besonders auf: Audi. Gehörten Autos und Gesundheit bisher eher nicht zusammen, soll sich das jetzt ändern. „Fahrer sollen künftig gesünder und fitter aus dem Auto aussteigen, als sie eingestiegen sind“, erklärt Christiane Stark, die sich bei Audi unter anderem mit „Automotive Health“ befasst.
Das emphatische Fahrzeug
Die Ingolstädter forschen am „emphatischen Fahrzeug“, das messen soll, wie sich der Fahrer gerade fühlt und dann entsprechend reagieren soll. Das geht mithilfe eines Wearables, beispielsweise einer Smartwatch, die die Vitaldaten des Fahrers misst. Entsprechend seiner Verfassung reagieren die Fahrzeugsysteme dann belebend, entspannend oder sogar schützend, beispielsweise regelt sich die Klimaanlage automatisch runter, wenn der Fahrer zu müde ist oder das System leitet ihn zu Atemübungen an, wenn er unter Stress steht. Verliert der Fahrer das Bewusstsein, soll künftig sogar automatisch ein pilotierter Nothalt eingeleitet und der Notruf alarmiert werden.
Auch andere Hersteller wie Mercedes, Volkswagen und BMW testen solche Anwendungen – auch mit Blick auf ihre eigenen Vitaldaten. Denn ein eigenes Auto zu besitzen, ist angesichts der zahlreichen neuen Mobilitätsdienstleistungen wie Carsharing oder Fahrdienstvermittlung für viele Menschen überflüssig geworden. Hinzu kommt, dass die Fahrer künftig beschäftigt sein wollen, wenn die Autos automatisch selber fahren. Wie also das Autofahren auch künftig attraktiv machen? Vor allem, was mit der ganzen freien Zeit hinterm Lenkrad des selbst fahrenden Autos anfangen? Beispielsweise nutzen, um einen Arztbesuch zu erledigen oder die wöchentliche Therapiestunde zu absolvieren.
Im Fahrersitz statt im Arztzimmer
Das ist zumindest die Idee, an der Audi mit dem Berliner Startup Patientus arbeitet, das ebenfalls Mitglied im Flying Health Incubator und auf digitale Sprechstunden spezialisiert ist. Die Plattform vermittelt zwischen Ärzten und Patienten, wenn wie bei einer Nachsorge oder Rückfrage der Arztbesuch nicht unbedingt notwendig ist. Per Videochat kann der Patient dann seinen Mediziner konsultieren und sich beraten lassen. „So spart er sich An- und Abfahrtszeit sowie die Warterei im Wartezimmer“, erklärt Nicolas Schulwitz das Konzept. Und die Ärzte können nicht nur flexibler arbeiten, sondern auch mehr Patienten sehen. Wobei es in Deutschland die Regel gibt, dass sich Arzt und Patient persönlich schon begegnet sein müssen, damit im Rahmen einer solchen Digitalsprechstunde auch eine Behandlung erfolgen darf. Eine allgemeine Beratung ist aber auch ohne vorherigen Kontakt erlaubt. Patientus arbeitet nach eigenen Angaben bereits mit mehreren Hundert niedergelassenen Ärzten zusammen, ab monatlich 29 Euro können diese Software und Plattform nutzen. Für Patienten ist der Service kostenlos.
Audi und Patientus sondieren aktuell eine Kooperation, um das Auto zum mobilen Sprechzimmer zu machen. Über einen eingebauten Bildschirm könnte der Telearzt kontaktiert und um Rat gebeten werden. Für die Ingolstädter ist ein solches Chatformat beispielsweise auch denkbar, um einen Fitness-Coach zu kontaktieren. „Wir haben viele Geschäftskunden, die lange Strecken mit ihrem Dienstwagen fahren. Mit solchen Angeboten können wir ihnen künftig ein bisschen mehr Zeit schenken“, erklärt Stark.
Autoalarm bei zu hohem Blutzucker
Aber auch konkrete medizinische Features machen aus ihrer Sicht Sinn, wie die Messung des Blutzuckerspiegels. Schließlich würden immer mehr Menschen an Diabetes leiden, Unterzuckerung könne im schlimmsten Fall zur Bewusstlosigkeit führen, auch hinterm Steuer. Dies könne vermieden werden, wenn das System im Auto vorab Alarm schlägt.
Was aber passiert mit den sensiblen Gesundheitsdaten? „Es werden keine dieser Daten in Audi-Fahrzeugen gespeichert“, versichert Stark. Der Kunde selbst verfüge darüber, welche Informationen über die App festgehalten würden, mit der wiederum das Wearable verknüpft ist. Auch denke Audi als Hersteller nicht an Versicherungsmodelle mit Bonus- oder gar Malus-Systemen für Fahrer, die besonders fit oder besonders ungesund seien.
Gerade erst haben die Ingolstädter eine Studie mit Probanden abgeschlossen, die 24 Stunden lang ein EKG beim Fahren getragen haben und über ihr Fahrverhalten befragt wurden mit dem Ergebnis, dass viele ihr Stresslevel nicht immer richtig eingeschätzt haben. Dabei soll künftig das Auto helfen – und im Zweifel eine kurze Atemübung empfehlen. Ohhhmmmm.