Eine Stadt im Dauerstau. Der Verkehr ist eines der drängendensten Probleme in Jakarta. Foto: Jurnasyanto Sukarno/picture alliance

Berlins Mann in Jakarta

Wie Kariem El-Ali in Indonesien Kontakte für das Projekt Starthubs AsiaBerlin knüpft. Ein Besuch

Man muss kein Experte sein, um rasch zu erkennen, dass der Verkehr eines der zentralen Probleme der indonesischen Hauptstadt Jakarta ist. Schon an seinem ersten Tag dort hat das auch Kariem El-Ali festgestellt. Der 36-Jährige Berliner ist für die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung einen Monat lang auf Austausch in Jakarta. Der Zehlendorfer erkundet im Rahmen der Initiative Starthubs AsiaBerlin Möglichkeiten, wie Berliner Startups sich mit Startups in Jakarta sowie Bangalore in Indien und Manila auf den Philippinen vernetzen können. El-Ali sammelt aber auch Ideen für die Belebung der Städtepartnerschaft, deren 25jähriges Bestehen 2019 gefeiert werden soll.

In der Zehn-Millionen-Metropole Jakarta herrscht quasi ständig Rush Hour, für 20 Kilometer braucht man schon mal zwei Stunden. Wer einen Geschäftstermin hat, nimmt sich für unterwegs ordentlich was zu lesen mit. Noch haben die – zumeist recht großen - Autos zwar keine eigene Bar oder Einbauküche, aber wenn die Entwicklung so weitergeht, würde auch diese Geschäftsidee vermutlich Sinn machen. Eine Alternative zu vier Rädern im Stau ist ein Mopedtaxi über die Apps „Grab“ (Werbeslogan: „der größte Fahrerpool in Südostasien“ mit dem schnellsten Buchungsservice) oder das indonesische Pendant „Gojek“. Mit denen hat sich nach einem zunächst erbitterten Kampf gegen die als illegal bekämpften Konkurrenten inzwischen sogar das beliebte Taxiunternehmen Blue Bird zusammengetan.

Mopeds, Autos & Wohnungen per App

„Gojek“ – Kariem El-Ali nennt es „die Vorzeige-App“ - macht noch allerlei weitere Angebote: Tickets, Massage, Lebensmittel. Die Gojek-Fahrer haben früher wild an den Straßen auf Kunden gewartet, jetzt bestellen Kunden ihr (Moped)Taxi mobil, können den Fahrer tracken und erfahren vorab den Preis. Das Geschäftsmodell erschließt ihnen auch neue Kunden. Die Fahrer sind an ihren grasgrünen Jacken zu erkennen, haben Helme auch für ihre Kunden – und bieten ihnen bei Regen ein Cape an. Die Plastikhaut hilft in den heftigen Tropengüssen zwar nur bedingt und eine Tour durchs Aquaplaning ist nicht wirklich ein Vergnügen, aber es gibt viele Mopeds und sie sind günstig. In einem der Tropengüsse ein „Blue Bird“-Taxi zu ergattern, ist eher Glückssache. Nach einer halben Stunde Warten in der Taxi-Schlange am Einkaufszentrum bestellt sich El-Ali an diesem nassen Nachmittag schließlich auch entnervt per App einen Wagen - bei Uber.

Auch seine Wohnung hat der Berliner digital gefunden: über Airbnb. „In anderen Städten läuft das meist sehr geschäftsmäßig ab. Hier hat mein Vermieter sogar schon Milch, Cornflakes und Kaffee besorgt, bevor ich ankam und Süßigkeiten vorbeigebracht“, zählt E-Ali lächelnd Vorzüge der Wohnungsplattform auf, die sein Arbeitgeber in Berlin doch so gar nicht gern sieht.

Der Bürgermeister trackt die Mietpreise

Die Notizen von seinen Gesprächen macht El-Ali allerdings noch ganz altmodisch mit Kuli in einer blauen Din-A5-Kladde, sein Programm für den Monat in Asien steckt ausgedruckt in einer roten Aktenmappe. Durchdigitalisiertes Arbeiten wie bei seinem früheren Arbeitgeber Siemens („die haben ja auch andere finanzielle Möglichkeiten“) ist in der Berliner Verwaltung wie in vielen mittelständischen deutschen Unternehmen daheim noch lange nicht Alltag. El-Ali hat nicht schlecht gestaunt, dass seine Kollegen zwar alle über private Emailadressen verkehren – aber Online praktisch auf alle Daten zugreifen können.

Dinge, die Berlin als E-Akten und E-Government erst noch in Angriff nehmen will. Kaum glauben mochte El-Ali, dass Mitarbeiter in Jakarta Tag für Tag Preise für Lebensmittel, Benzin und Mieten einspeisen – die daraus ermittelte Inflationsrate checkt der Gouverneur jede Woche persönlich, erzählt er. Steigende Preise und die Unzufriedenheit darüber können für Politiker in Indonesien gefährlich werden. „Bei uns macht das ein Bundesamt“, sinniert El-Ali. “Wenn ich mir vorstelle, der Regierende Bürgermeister Müller würde wöchentlich die Preise checken…“ Er fügt hinzu: „Das wäre ja vielleicht mal eine Idee für einen Berliner App-Entwickler.“ In Jakarta entwickeln Kollegen in der Smart-City-Abteilung Apps für die Stadtverwaltung. Die Atmosphäre dort gefällt El-Ali gut, fast alle sind unter 35 Jahre „und es herrscht der Spirit eines Co-working-spaces“.

Lösungen für die Stadt von Morgen

Der Volkswirt, der in Potsdam und Warschau studiert hat, ist 2014 nach Jobs für einen mittelständischen Regalhersteller aus Hessen und Siemens als Quereinsteiger in die Senatsverwaltung gekommen. Nach Stationen im Nahen Osten wollte er wieder an die Heimat andocken. „Außenwirtschaft, Messen, Europa-Politik, Europäische und Internationale Zusammenarbeit“ steht auf seiner Visitenkarte. Den Aufenthalt in Jakarta finanziert die EU über ein Programm für Verwaltungsaustausch. El-Ali weiß von seinen früheren Einsätzen in Ägypten, Saudi-Arabien und Jordanien, wie wichtig persönliche Kontakte in vielen Ländern sind, um etwas auf den Weg zu bringen. Vielleicht geht er zum Netzwerken auch mal zum gemeinsamen Frühsport, der für alle Kollegen der Stadtverwaltung freitags morgens vor der Arbeit angeboten wird.

Bestens aufgestellt. El-Ali mit seinen Kollegen des Jakarta Capital City Government Yudi Hermawan, Shinta Nindyawati, Mr Enggar Ferry Sugiharto. Bild: privat

Als er ankam, war er erstaunt, dass seine bestens aufgestellten Kollegen der internationalen Abteilung in Jakarta dann aber nicht den Namen des für die Städtepartnerschaft mit Berlin zuständigen Vertreters in der deutschen Botschaft kannten, wie er am Rande eines Empfangs für die Teilnehmer des deutsch-indonesischen Mediendialogs der Stiftung für die Freiheit und des Auswärtigen Amtes in Jakarta bemerkte. Es gab auch andere Aha-Effekte. El-Ali wähnte sich gut gewappnet, um Berlin vorzustellen. Doch die Kollegen waren weniger an seinem Stadtporträt interessiert, sie wollten erfahren, welche Lösungswege Berlin eingeschlagen hat und wie die politischen Rahmenbedingungen aussehen, erzählt El-Ali ein paar Tage später bei einem Treffen in einem vom Verkehr umtosten Café in der City. Die Kollegen interessieren sich etwa für die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen und die Cluster-Innovationsstrategie Berlin-Brandenburg, das Müllmanagement und die Parkraumbewirtschaftung. Er selbst ist gespannt, welche n digitalen Entwicklungen er entdecken und ins Projekt einbringen kann, das die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Finanzen mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), der Plattform Usaha Sosial Jakarta (Plus), dem ImpactHub Manila und der Deutsch-Indischen Handelskammer in Bangalore initiiert haben.

Religion & Missverständnisse

Schon im Flieger hat El-Ali die junge Inhaberin eines Startups kennen gelernt, die vergangenes Jahr bereits auf indonesische Einladung auf der Messe Bazaar Berlin war. Sie hat mit Batikkissen angefangen, bietet inzwischen auch Ledertaschen an. „Sie war enttäuscht, dass sie nur wenig verkauft hat. Aber sie hat gar nicht gewusst, dass es keine Messe für Händler, sondern für Endverbraucher ist.“ Mit Informationen via Starthubs könnten solche Missverständnisse künftig vielleicht vermieden werden.

Anderen Missverständnissen versucht der Berliner mit jordanischer Mutter von vornherein aus dem Weg zu gehen. Seine Kollegen haben ihn wegen seines Namens gleich gefragt, wie es ihm denn als Moslem in Deutschland ergehe. Sie wussten von Pegida-Demonstrationen in Dresden und Übergriffen auf Asylbewerberunterkünfte. El-Ali lässt gern offen, ob er überhaupt einer Religion angehört („Man kann nicht Beides sein, aber von beidem etwas haben.“) – in Indonesien eher unvorstellbar. Johnny, einer seiner Kollegen auf Zeit, hat in Erfurt studiert und dort keine Probleme gehabt, das berichtet er zur Freude El-Alis nun auch im Büro in Jakarta. Viel besser, als wenn ein Deutscher das sagen würde. Der Berliner selbst versucht das Thema Religion zu meiden. Angesichts gerade offenkundig erstarkenden islamistischen Tendenzen in Jakarta könnten Äußerungen schnell falsch ausgelegt werden.

Gouverneur Basuki Tjahaja Purnama, nur „Ahok“ genannt, ein chinesisch-stämmiger Christ im Land mit fast 90 Prozent muslimischer Bevölkerung, der im Februar wiedergewählt werden will, ist wegen einer Äußerung über seine politischen Gegner mit Bezug auf einen Koranvers gerade massiv unter Druck. Ahok hatte in einer Rede auf Koranvers Maidah 5:51 Bezug genommen, der bereits seit Jahren von seinen politischen Gegnern ins Feld geführt wird. Dort heißt es, man solle Christen und Juden nicht zu Freunden nehmen. Er habe nichts gegen den Koran gesagt, argumentiert Ahok, sondern: „Wenn ihr von Rassisten und Feiglingen reingelegt werdet, die diesen Vers nutzen, um mich nicht zu wählen, dann wählt mich nicht.“ Das versuchen seine Gegner nun zu nutzen, um seine Wiederwahl zu verhindern. Er fühlt sich verkürzt zitiert, Islamisten zeihen ihn jedoch der Blasphemie, organisieren emotional aufgeheizte Massendemos. Die Justiz ermittelt – wohl auch, um die Lage zu beruhigen, die weit über die Stadt hinaus inzwischen angespannt ist.

Fahren nach Zahlen

Autofrei und Spaß dabei. Der Car Free Day erfreut sich derzeit großer Beliebtheit in Jakarta. Bild: Ingrid Müller

Da ist eine Diskussion über Verkehr doch einfacher. Auf das Thema kamen El-Alis Kollegen gleich zu sprechen. Trotz spezieller Fahrzeiten für Inhaber gerader und ungerader Nummernschilder gilt Jakarta vielen als die Stauhauptstadt der Welt. Im Vergleich dazu jammern Berliner auf hohem Niveau. In Jakarta gilt das Auto noch als Statussymbol, für viele die erste Anschaffung, sobald man Arbeit hat. In Umfragen nennen die Bürger Verkehr und Massentransport inzwischen als das wichtigste Thema – noch vor Korruption, Kriminalität und den Überflutungen.

Im Moment ist gerade ist der „car free day“ ein großer Hit. Dafür wird sonntags früh von sechs bis elf im Zentrum fünf Stunden eine Hauptstraße gesperrt. Die schnell wachsende Mittelschicht spaziert, joggt oder radelt samt Kindern in modischen Sportoutfits zu Nationaldenkmal und Präsidentenpalast, überall bieten Händler etwas zu essen oder Hüte gegen die Sonne an, es herrscht Volksfeststimmung. Eine wunderbare Sache - nur keine Lösung für die Verkehrs- und Luftverschmutzungsprobleme der zweitgrößten Metropolregion der Welt (nach Tokio-Yokohama) mit gut 30 Millionen Einwohnern und einer Million Zuzüglern pro Jahr. Da bleibt trotz ehrgeiziger Pläne der aktuellen Regierung, aber einem bisher eher rudimentären öffentlichen Transportnetz eine Menge zu tun. Was liegt da näher als die Themen öffentlicher Nahverkehr, Park and Ride und auch Parkraumbewirtschaftung?

Getrennte Busspuren, geteilte Abteile

Inzwischen gibt es zwar moderne und saubere städtische „Transjakarta“-Busse, in denen Passagiere ihre Fahrt (umgerechnet 18 bis 25 Cent) per E-Money-Karte zahlen und deren aktuellen Aufenthalt sie an einer Anzeigetafel verfolgen können. Die Busspuren sind mit Betonblöcken abgetrennt. Doch an den Kreuzungen stecken die Busse meist wie alle anderen fest. Jenseits der für Touristen interessanten Linie in die Altstadt nach Kota sind zum Leidwesen der Kunden oft alte graue Busse im Einsatz, in die es kräftig reinregnet. Selbst wo ein Platz frei ist, setzt sich niemand. Angesichts massiver Beschwerden über das Verhalten von Männern mahnen außerdem inzwischen eindeutige Logos, Frauen nicht anzufassen. Es gibt für Frauen reservierte Abteile und seit April sogar rosa Busse nur für Frauen. Auf die wollen junge allerdings meist nicht warten, viel zu selten kommt einer. Kein Wunder. Mit den pinken Bussen wird zwar geworben, aber es sind bisher gerade mal zwölf der 1200 Busse, die insgesamt 345 000 Passagiere täglich transportieren. Zum Vergleich: In Berlin fahren – zusätzlich zu U- und S-Bahn – nach BVG-Angaben gut 1400 Busse, rund 420 000 Menschen nutzen sie täglich. An separate Frauenabteile denkt hier aber niemand: „Um Gottes willen, das ist genau das, was wir nicht wollen“, sagt BVG-Sprecherin Petra Reetz. Wer in solch ein Abteil steige, laufe Gefahr, sofort als „ängstlicher Mensch“ abgestempelt zu werden.

In Jakarta wissen sie wohl, dass sie verdammt spät dran sind mit ihrer Verkehrsplanung. Inzwischen gibt es ein Programm, das bis 2030 den Individualverkehr zugunsten des ÖPNV zurückdrängen soll, inklusive freier Tickets für bestimmte Nutzergruppen. Die U-Bahnbaupläne, teils über-, teils unterirdisch klingen aus Berliner Sicht allerdings eher niedlich, Transport im Untergrund ist noch weitgehend Zukunftsvision. Und offensichtlich sind sich nicht alle Behörden einig, wie es weitergehen soll. Dabei spielen wohl nicht nur hohe Steuereinnahmen durch Autofahrer eine Rolle. Den Zuschlag für den U-Bahnbau hat gerade ein japanisches Unternehmen bekommen. In deutschen Kreisen in Jakarta ist Bedauern zu hören, auch schon mal über das Verbot, Bestechungsgelder abzusetzen. Das sei für deutsche Firmen ein Wettbewerbsnachteil.

Elektronische Tickets passen nicht aufs Auto auf

Da Wohnraum in der City auch in Jakarta immer teurer wird, ziehen auch immer mehr Angestellte der Mittelschicht weiter nach draußen. Rund 1,4 Millionen Menschen pendeln täglich in die Stadt. Wo möglich, lassen El-Alis Kollegen ihr Auto oder Moped bereits an einem Parkplatz stehen, der in der Regel privat gemanagt wird und nehmen die Bahn, weil es schneller ist, auch ein Park & Ride-System. Mit öffentlicher Parkraumbewirtschaftung könnte die Stadt den Verkehr lenken und Geld verdienen. So smart vieles in Jakarta bereits zugeht, das Konzept elektronischer Parktickets brachte El-Ali bisher nur Kopfschütteln ein: „Die Kollegen fragten immer wieder: Und wer passt dann auf mein Auto auf?“ Auf Jakartas Parkplätzen sind immer Wächter unterwegs, gewiefte Geschäftemacher fordern selbst beim Parken an öffentlichen Straßen eine Schutzgebühr. Ein Ticket zu ziehen und das Auto einfach abzustellen, wäre seinen Kollegen viel zu unsicher. „Vielleicht hat ja ein Berliner App-Entwickler eine Idee, wie dieser Aspekt der Sicherheit zu lösen wäre“, lächelt El-Ali, bevor die Kellner die Gäste drängen, den Platz unter der Markise zu verlassen. Sie wird dem Tropenguss nicht mehr lange standhalten.

Ende Mai 2017 sollen die verschiedenen Welten in Berlin zusammenfinden – die StartHubs AsiaBerlin sind Teil der Asien-Pazifik-Wochen. Dazu wird auch Jakartas Gouverneur Ahok erwartet.