Gründungsstarke Frau. Miriam Wohlfarth hat 2009 das Fintech Ratepay gegründet. Foto: promo

Allein unter Männern

Die Startup-Szene gilt als modern und offen. Frauen machen da oft andere Erfahrungen. Eine neue Studie belegt das nun.

Miriam Wohlfarth hat sich selbstständig gemacht, als das Timing dafür nicht schlechter hätte sein können. Es war das Jahr 2009. Lehman Brothers ging pleite. Banken wurden verstaatlicht, geschlossen. Das Vertrauen in eine Branche, die für Sicherheit stand, war dahin. Fast kollabierte das ganze System. Trotzdem wollte Wohlfahrt eine Finanzidee verkaufen.

Mittlerweile arbeiten mehr als 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Rate Pay. Einem Anbieter für Ratenzahlungen im Internethandel. Kunden sind Germanwings und Butlers. Das einstige Startup gehört der Otto Group, die Gründerin ist Geschäftsführerin. Wohlfarth spricht auf Panels, wird zu Diskussionen eingeladen. Doch als erste Fin-Tech-Unternehmerin ist sie meistens allein. Unter Männern.

(K)ein Vorteil in der Digitalisierung

Nach dem Deutschen Startup-Monitor liegt der Frauenanteil in der deutschen Gründerszene bei 13,9 Prozent. Im Tech-Bereich ist die Quote noch geringer. Laut der Universität Hohenheim soll sie im Jahr 2015 bei neun Prozent gelegen haben. Würden in Deutschland so viele Frauen wie Männer gründen, gebe es jedes Jahr 60 000 Unternehmen mehr. In Großbritannien liegt der Anteil von Tech-Gründerinnen bei 33,3 Prozent.

Die Digitalisierung hat Möglichkeiten geschaffen, zu anderen Zeiten, an anderen Orten als bisher zu arbeiten. Weil Frauen sich nach wie vor stärker um die Kindererziehung kümmern als Männer, profitieren sie sehr davon. Dann anfangen, wenn der Kleine in der Kita ist. Von zu Hause aus arbeiten, wenn er krank ist. Sich am späteren Abend nochmal an den Computer setzen, wenn das Kind schläft. Geht es aber darum, mit der Digitalisierung Geld zu machen, hören die Vorteile für Frauen scheinbar auf.

Als Unternehmerinnen nicht ernst genommen

»Andere Fragen. Frauen müssen sich viel öfter rechtfertigen, sagt Korali Hindriks. Foto: Jobbatical

In einer Studie der Vodafone-Institut, die in dieser Woche vorgestellt wurde, haben 85 von 134 Gründerinnen aus der Digitalwirtschaft gesagt, dass sie es schwerer hätten als männliche Gründer. 112 Frauen aus Berlin nahmen an einer Online-Befragung teil, 22 Gründerinnen und vier Experten trafen sich mit dem Studienteam zu Tiefeninterviews. Die Umfrage ist nicht repräsentativ. Sie will exemplarisch zeigen, was wahrscheinlich noch mehr Frauen empfinden.

Fast die Hälfte von ihnen fühlt sich in ihrem unternehmerischen Vorhaben nicht wirklich ernst genommen. Eine, die an der Studie teilnahm, ist Korali Hindriks. Sie gilt als eine der einflussreichsten Frauen der europäischen Szene und hat unter anderem das Startup Jobbatical gegründet. Eine Plattform, die Arbeitnehmern hilft, sich eine mehrmonatige Auszeit nehmen können, um in einem anderen Land, in einem anderen Unternehmen zu arbeiten. Ihr Mann ist Manager bei einem Robotic-Unternehmen. Noch nie sei er gefragt worden, wie er Karriere und Kinder miteinander vereinbaren möchte. „Bei mir“, sagt Hindriks, „ist dies die erste Frage.“ Und das in einer Branche, die als jung, modern und innovativ beschrieben wird.

Sexuelle Belästigung & Perfektion

»Leider haben Frauen oft die Priorität, bloß keine Fehler zu machen«, sagt Sofie Quidenus. Foto: Qidenus Technologies

Anfang des Jahres kam eine Untersuchung des Marktforschungsinstituts Elephant in the Valley außerdem zu dem Schluss, dass 60 Prozent der Frauen, die in der IT-Branche arbeiten, an ihrem Arbeitsplatz schon einmal sexuell belästigt worden sind. In den USA wird seit zwei Jahren über Sexismus in der Tech-Szene debattiert.

Zurück zu der Studie der Vodafone-Institut: Gefragt nach ihren größten Hürden, meinten 75 Prozent, ihnen fehle das nötige Selbstbewusstsein; 69 Prozent könnten sich nicht so gut vermarkten wie sie sollten. Mangelnde technische Kenntnisse wie Programmieren nannten 42 Prozent. Als letzten Punkt.

Ein Grund für die Unsicherheit der Frauen ist ihre Sozialisation. Mädchen werden oft noch so erzogen, dass sie brav sind, nicht eigensinnig. Akzeptanz statt Wettbewerb. „Wenn junge Mädchen eher für Perfektion als für Risikobereitschaft Anerkennung bekommen, kann das später dazu führen, dass Situationen vermieden werden, in denen sie versagen könnten“, sagt Sofie Quidenus. 80 Prozent aller Bücher in europäischen Nationalbibliotheken sind digitalisiert worden. Mit Hilfe ihrer Technologie.

Männer bekommen einfacher Kapital

Dass alte Rollenbilder ein Grund für die wenigen Gründerinnen sein soll, ist nicht nur eine subjektive Einschätzung. Stephanie Birkner, 35, ist verheiratet, hat zwei Kinder und arbeitet als Professorin an der Universität Oldenburg. Wo sie über weibliches Unternehmertum forscht. Sie sagt: „Mädchen werden immer noch so sozialisiert, dass sie sich eher für soziale Berufe interessieren als für technische.“ Drei von zehn Uni-Absolventen in den Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik sind weiblich. Obwohl mehr Mädchen als Jungen Abitur machen, obwohl mehr Frauen als Männer studieren.

Es sind aber nicht nur Eigenschaften und Neigungen, an denen Frauen selbst arbeiten könnten. Die Mehrheit der Befragten (62 Prozent) fühlt sich bei Pitches oder Gesprächen mit Investoren und Kreditgebern benachteiligt. Eine der Befragten sagte, ein Venture Capitalist habe sich bei der Präsentation ihrer Geschäftsidee immer an den jungen Praktikanten gewandt. Nicht an sie oder die zweite Chefin. Eine andere erzählte, sie erscheine bei solchen Terminen immer mit einem Mann, um ihre Erfolgschancen zu erhöhen. Laut Massachusetts Institute of Technology (MIT) haben männliche Gründer eine um 40 Prozent größere Chance, Wagniskapital zu bekommen. Selbst dann, wenn Gründerinnen genau denselben Inhalt vortrügen.

Dazugehören, aber nach neuen Regeln

Dazu kommt die männliche Dominanz in entscheidenden Netzwerken. Laut dem Startup-Monitor gründen Frauen im Schnitt mit 31, Männer mit 26,8 Jahren. Man könnte sagen: Gut, Frauen haben mehr Berufserfahrungen. Es heißt aber auch: Männer tüftelten schon erste Ideen an der Uni aus, schrieben den ersten Businessplan, tauschen sich aus, wagen sofort den Schritt in die Selbstständigkeit. Fast alle Frauen, die an der Studie der Vodafone-Institut teilnahmen, wollen einen besseren Zugang zu Netzwerken haben, die der Karriere nachweislich helfen. Nur haben 86 Prozent ein Problem damit, sich auf die Selbstdarstellung bei den Veranstaltungen einzulassen. Mit dem Punkt identifizieren sich noch mehr als mit einem mangelnden Selbstbewusstsein. Sie wollen dazugehören, aber nicht so, wie es die Spielregeln vorschreiben. Ohne die Übertreibungen, das Angeben.

Birkner sagte bei der Vorstellung der Studie, es sei paradox: Einerseits sollen alle gleich sein, die gleichen Chancen haben. Alles andere sei ungerecht. Gleichzeitig sträuben sich Frauen gegen die männliche Art, Geschäfte zu machen. Sagen selbst, sie trauen sich weniger zu. „Es gibt Unterschiede, auch beim Führungsstil“, sagte Birkner. Wohlfahrt bestätigte das. Sie meinte, dass Frauen oft intuitiver seien. Besser spüren würden, was der Mitarbeiter oder Kunde will. Trotzdem ist sie für gemischte Teams.

Selbstvermarktung als Pflicht

Die Gründerinnen wollen einen besseren Zugang zu Netzwerken,frühere Förderung an Schulen, Empowerment durch Coachings und Mentoren, ein neues Denken auf Seiten der Geldgeber, eine bessere Kinderbetreuung. Birkner warnt davor, den Fokus falsch zu setzen. Solange sich die Debatte nur um Defizite drehe, würden Frauen nicht gefördert werden, weil sie herausragende Arbeit machen, sondern Unterstützung brauchen. Eine Positiv-Diskriminierung.

Was die Frauen noch wollen? Mehr Vorbilder. Vorbilder wie Miriam Wohlfahrt. Sie hat eine fünfjährige Tochter und gewann vor gut einer Woche den „Digital Female Leader Award“. Ja, es gebe Stolpersteine, sagte sie – und appellierte im nächsten Satz an die Frauen: Jede Gründerin müsse bei sich selbst anfangen. Es reiche nicht, eine gute Idee zu verkaufen, sondern auch die eigene Person. Ob Frauen das nun mögen oder nicht. „Ich lebe meiner Tochter jeden Tag vor, dass man eine erfolgreiche Unternehmerin und gute Mutter sein kann“, sagte sie. Nicht entweder oder.