Gleich knallt'ss. Schutz vor Kriminalität ist beim Nachbarschaftsnetzwerk aus den USA ein Riesenthema. Bilden wir gleich eine Bürgerwehr? Foto: Carsten Rehder/dpa

Haste mal 'ne Schreckschusspistole?

Online-Netzwerke wie Nextdoor und Nebenan.de wollen Nachbarn vernetzen. Unser Autor hat es ausprobiert - und ist auf Kuriositäten gestoßen

Endlich ist in meiner Nachbarschaft etwas los. Ragnar verkauft seine E-Gitarre und Susanne verschenkt einen schmalen Metallschrank mit Schubladen. Auch eine gebrauchte Handtuchheizung wird günstig angeboten. Kommt jetzt doch mal Leben in den virtuellen Kiez?

Facebook für Nachbarn

Seit fast zwei Monaten teste ich das Online-Netzwerk Nextdoor. Es ist eine Art Facebook für Nachbarn. „Nur zwei Prozent der Menschen sind mit den Nachbarn bei Facebook vernetzt“, sagt Mitgründerin Sarah Leary. Dabei seien die im täglichen Leben wichtig. Gerade in den Großstädten kennen viele Menschen die Leute nicht, die nur einige Türen weiter wohnen. Das wollen die Amerikaner ändern. In ihrer Heimat liegt die Zahl der Nutzer schon im zweistelligen Millionenbereich. Seit Juni gibt es Nextdoor auch in Deutschland. Das passt gut. Ich ziehe selbst gerade um. Da kann ich meine neuen Nachbarn auf modernem Wege kennenlernen. Dachte ich jedenfalls.

Die Registrierung ist einfach, ich muss aber nachweisen, dass ich wirklich an der angegebenen Adresse wohne. Dazu soll ich eine Postkarte mit einem Registrierungscode bekommen. Um sicherzustellen, dass sich nur echte Nachbarn vernetzen. Das Problem ist nur, dass die Karte nicht ankommt. Dafür erhalte ich nach zwei Wochen eine Mail: Leider habe sich der Versand verzögert, nun sei die Postkarte aber unterwegs.

Nextdoor hat Startprobleme

Ein richtiges Problem ist das aber nicht, denn ich kann das Netzwerk trotzdem schon nutzen. Die Zahl der registrierten Nachbarn im Kiez lassen sich freilich an einer Hand abzählen. Komisch ist aber, dass ich sehen kann wer die sind und was sie schreiben. Hieß es nicht, jedes Mitglied müsse erst seine Identität bestätigen? Deutschland-Chef Marcus Riecke erklärt: „Solange eine Nachbarschaft weniger als zehn Mitglieder hat, ist sie noch nicht offiziell gestartet, sondern befindet sich in einer zeitlich begrenzten Aufbauphase“. Währenddessen können Mitglieder Nextdoor auch ohne Verifizierung nutzen. Und meine nicht angekommene Postkarte ist kein Einzelfall. Riecke bestätigt Verzögerungen beim Versand, es habe Probleme in einem örtlichen Verteilzentrum der Post gegeben.

Kleine Probleme gab es wohl auch bei der Übersetzung. Als ich mein Profil ausfülle, sind die Hinweise auf Haustiere und Interessen zwar noch auf Englisch. Ich kann aber nicht auswählen, dass ich Englisch sprechen kann. Bei den Auswahlmöglichkeiten für Interessen stehen Baseball und American Football vor Fußball. Zudem gibt es obskure Optionen wie Ahnenforschung und Scrapbooking, eine Freizeitbeschäftigung, bei der man Bilder in Bücher klebt.

Bilden wir gleich eine Bürgerwehr?

Recht amerikanisch wirkt auch der Sicherheitsfokus. Schon bei der Anmeldung lese ich, meine Nachbarn würden sich „über Dinge wie Autoeinbruch unterhalten“. Und Nextdoor würde genutzt, andere über Einbrüche zu informieren und Sicherheitsgruppen zu organisieren. Bilden wir gleich eine Bürgerwehr?

Allerdings sorgen sich offenbar auch Nutzer des deutschen Konkurrenten Nebenan.de um die Sicherheit. Bei dem Netzwerk aus Berlin melde ich mich auch an. In einem der ersten Beiträge, die ich sehe warnt Tom vor „zwei dubiosen Gestalten“, die sich auffällig genau in Läden des Viertels umschauen. Ein anderer fragt gar nach einer Schreckschusspistole. Er versichert aber: „Hab auch keinen Unfug damit vor”. Er schreibe seine Masterarbeit über Architektur und Akustik. Für eine Untersuchung in großen Sälen erzeuge eine Schreckschusspistole optimale Ergebnisse.

Viele nutzen die Netze als Verleihplattform oder Flohmarkt

Auch sonst ist bei Nebenan.de deutlich mehr los. Kein Wunder, das Netzwerk ist schon 2015 gestartet und hat inzwischen über eine halbe Million Mitglieder. Über 300 Menschen aus meinem Kiez sind registriert, bei Nextdoor sind wir bis heute gerade einmal zwölf. Dabei sind hier die Grenzen des Viertels deutlich großzügiger gezogen: „Pankow Süd“ ist etwa doppelt so groß, wie der „Vinetakiez“ bei Nebenan.de. Und so kommt auch nur bei dem deutschen Netzwerk ein Austausch zustande: Ich muss keine Umzugskartons kaufen, zwei andere Nutzer schenken mir welche. Für einen ungenutzten Kinect-Sensor und anderen noch brauchbaren Kram finde ich Abnehmer. Auch die sperrigen Pappkartons werde ich nach dem Umzug über Nebenan.de wieder los. Wobei die Nachfrage bei Ebay-Kleinanzeigen viel größer ist. Generell nutzen viele die Netze zum Gebrauchtwarenhandel, doch oft werden auch Leitern oder Werkzeuge verliehen. Ein paar Nachbarn will ich zum Sport treffen, es hat nur zeitlich noch nicht gepasst. Doch ich habe auch schon einige im echten Leben kennengelernt - ganz klassisch beim Paket übergeben oder einem Plausch auf dem Hof.