Projekte statt Prüfungen: An der Code Universität wird so viel es geht praktisch gearbeitet. Foto: Mike Wolff

Die Startup-Universität

Ein bekannter Gründer war mit dem Informatik-Studium unzufrieden. Daher hat er einfach seine eigene Programmier-Hochschule gegründet.

Wenn der Universitätskanzler in seiner Hochschule umherläuft, kann man ihn schnell mit den Studenten verwechseln. Mit seinen 31 Jahren ist Thomas Bachem auch nicht viel älter. Doch der Mann mit dem jungenhaften Gesicht und dem grauen Langarmshirt hat schon geschafft, was viele hier gern wollen. Bachem hat mehrere Startups mitentwickelt und selbst gegründet. Am bekanntesten ist die Videoplattform Sevenload, die mal als „deutsches Youtube“ galt und vom Burda-Verlag gekauft wurde.

Jüngster Universitätskanzler: Thomas Bachem hat schon verschiedene Startups gegründet. Foto: Mike Wolff / TSP

Es folgte die Plattform Lebenslauf.com, die exemplarisch zeigt, wie Bachem tickt. Er wollte eigentlich nur einer Freundin beim Gestalten des Lebenslaufs helfen und suchte nach Hilfsmitteln im Internet. Da die ihn nicht überzeugten, hat er eben selbst etwas entwickelt. Er stellte den Lebenslauf-Generator dann ins Netz und bald nutzten Tausende den Dienst, vor drei Jahren verkaufte er ihn an Xing.

Schon damals hatte der Kölner immer mal erzählt, dass er davon träumt, eine Programmier-Uni zu gründen. Denn eigentlich wollte er selbst Informatik studieren, doch die Studiengänge überzeugten ihn nicht. So entschied sich Bachem für BWL und brachte sich nebenbei Programmieren bei. Andere Studenten lernen das nun an Bachems Code University. Der allererste Jahrgang hat in diesem Monat angefangen. Die 88 Studierenden sitzen im Backsteingebäude der Factory am Görlitzer Park, einer ehemaligen Agfa-Fabrik die gerade zu einem der größten Co-Working-Center Europas umgebaut wird. Eröffnet wird der Startup-Campus nächsten Monat – wenn alles gut geht. Denn Verzögerungen gab es einige, auch jetzt sieht man auf der Suche nach dem richtigen Eingang, mehr Bauarbeiter als Studenten. Das Logo der Uni ist mit schwarzem Gaffa-Band an den Eingang geklebt. Auch die Uni wird noch zweimal innerhalb des Gebäudes umziehen müssen, im eigentlich vorgesehenen Trakt wird derzeit noch ein neues Dach gebaut.

Learning by doing ist das Grundkonzept

Dafür sind die Studenten schon umso weiter. Vor zwei Wochen haben sie angefangen und bald sollen schon die ersten Apps fertig sein. Eine Gruppe von sechs Leuten sitzt mit ihren Laptops in einem Raum und bespricht mit der Dozentin den Stand. Sie diskutieren, ob es realistisch ist, innerhalb von drei Wochen ein funktionierendes Programm zu entwickeln. „Mit copy und paste könnte ich einiges zum Laufen bringen“, sagt ein Student im Kapuzenpullover. Doch statt den Code irgendwo zu kopieren, sollte es doch darum gehen das Programm selbst zu schreiben und zu verstehen wie es geht. „Niemand erwartet eine perfekt laufende App“, beruhigt die Dozentin Anna-Maria von Saucken.

Learning by doing ist das Grundkonzept der Hochschule. Daher wurden gleich am Anfang drei Gruppen gebildet, in denen konkrete Projekte umgesetzt werden sollen. „Wir wollen ein Programm entwickeln, dass es einfacher macht Namen zu lernen“, sagt Lennard Schmidt. Dazu soll die Quiz-App immer zwei Fotos der Studenten zeigen und darunter mehrere Namen, von denen die richtigen zugewiesen werden müssen. Eine andere Idee war, die Ummeldung zu digitalisieren. „Fast alle von uns müssen sich innerhalb von zwei Wochen in Berlin anmelden, doch es gibt erst frühestens in acht Wochen Termine“, sagt Schmidt. Das Namens-Quiz schien in der Umsetzung realistischer.

Weder Vorlesungen noch Klausuren

Schmidt hatte eigentlich schon einen Platz an der privaten Business School WHU, die als Startup-Kaderschmiede gilt, seitdem Oliver Samwer hier sein Handwerkszeug gelernt hat. Doch dann las er von der Code Uni und Bachem überzeugte ihn via Skype. Ein Argument: Es gibt hier weder Vorlesungen noch Klausuren, bewertet werden die Praxisprojekte. Und Berlin reizte den 20-jährigen auch mehr als der WHU-Standort Vallendar.

Insgesamt bietet die Privathochschule drei staatlich anerkannte Bachelor-Studiengänge. Neben Softwareentwicklern werden auch Interaction-Designer und Produktmanager ausgebildet. Doch sie lernen soweit wie möglich gemeinsam, das erste Semester ist sogar für alle gleich. „Jeder muss am Anfang einmal die Rolle des Entwicklers, Designers und Produktmanagers einnehmen“, sagt Bachem, „dann kann man sich auch besser in den anderen hineinversetzen“. Dieser interdisziplinäre Ansatz ist ein weiterer Teil einer möglichst praxisnahen Ausbildung. Von Saucken ist es beispielsweise wichtig, dass die Studenten von Anfang an auch an die Perspektive des Nutzers denken. Das komme in der klassischen Informatik viel zu kurz. „Manche Absolventen haben von usability noch nie was gehört“, kritisiert die Dozentin.

Rollentausch. Die Studenten der drei Studiengänge lernen und arbeiten gemeinsam. Foto: Mike Wolff / TSP

Die Studentin Luna war erst skeptisch, weil es eine Privathochschule. „Bei privaten Designschulen zahlen die Leute, die sonst nicht gut genug sind“. Doch sie interessierte sich schon in der Schule für Design und Mathe, daher überzeugte sie der interdisziplinäre Ansatz. Der hat jedoch seinen Preis: Das Studium an der Privathochschule kostet 27000 Euro. Wer die nicht zahlen kann oder will, kann auch nach dem Studium über zehn Jahre 6,5 Prozent seines Einkommens abgeben. Dabei gibt es jedoch eine Obergrenze, die beim doppelten der eigentlichen Gebühren liegt. Auch wenn tatsächlich mal Absolvent ein Startup gründet und für Millionen verkauft, macht das Bachem zwar glücklich, seine Uni aber auch nicht reich.

Fast jeder zweite Informatik-Student bricht das Studium ab

Und der Bedarf nach neuen Wegen in der Ausbildung ist vorhanden. Mehr als 50 000 Stellen für IT-Spezialisten sind laut Branchenverband Bitkom offen. Und auch wenn seit einigen Jahren die Zahl der Informatik-Studenten ansteigt, können sie den Bedarf nicht decken. Das liegt auch daran, dass fast die Hälfte das Studium nie beendet. Die Abbrecherquote liegt bei 45 Prozent, nur in Mathe ist sie noch höher. Und das Problem verschärft sich sogar noch zu, wie eine Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung aus dem Januar zeigt. An den Fachhochschulen ist die Zahl der Abbrecher um sieben Prozentpunkte gestiegen. Vor einigen Jahren lag sie noch bei 27 Prozent. Neben zu hohen Anforderungen spielt die fehlende Praxis eine große Rolle. Viele der Abbrecher vermissen Praxis- und Berufsbezüge im Studium, heißt es in der Studie.

„Wie an den meisten öffentlichen Universitäten Informatik vermittelt wird, ist oft viel zu theoretisch“, kritisiert auch Stephan Schambach. Der Unternehmer hat einst Intershop gegründet, seine zweite E-Commerce Firma Demandware verkaufte er für 2,8 Milliarden Dollar. Doch wenn Schambach Programmierer einstellt, merkt er oft: „Die Studenten lernen viel Mathematik und kaum zu coden, vor allem aber nicht, wie man im Team arbeitet“.

Unterstützung von Facebook, Trivago oder Zalando

Das sehen viele andere Unternehmer ähnlich. Und so gelang es Bachem fünf Millionen Euro für sein Projekt einzusammeln. Zu den Geldgebern gehören die Gründer von Trivago, Wunderlist, Bigpoint oder Movinga. Und selbst Facebooks Nummer Zwei, Sheryl Sandberg, lobte das Projekt kürzlich im üblichen Silicon-Valley-Überschwang: „Ihre Studenten werden die Welt verändern“. Facebook finanziert dafür eine Professur für Künstliche Intelligenz und will bei Praxisprojekten mit der Hochschule zusammenarbeiten. Auch mit Zalando wurde solch eine Kooperation vereinbart.

Dabei ist die Uni selbst noch ein Startup. „Jemand anderes hätte vielleicht noch ein Jahr länger das Konzept feingeschliffen“, sagt Bachem. Doch das ist nicht seine Art. Er wollte lieber erst einmal starten und die Idee gemeinsam mit den Studierenden entwickeln.