Ding! Ding! Ding! So war die erste Konferenz zum Journalismus der Dinge
Alles begann mit dem ersten vernetzten Toaster – auch die erste Journalism of Things Conference. In seiner Keynote erinnerte der englische Medienforscher John Mills an die Computerexperten John Romkey und Simon Hackett, die jenen Toaster 1990 mit dem Internet verbanden. Knapp 30 Jahre später ist das „Internet der Dinge“ in fast jeglichen Lebensbereich vorgedrungen: In Wohnzimmer und Arztpraxen, Fabrikhallen und Betten, Autos und Bauernhöfe. Was vernetzt werden kann, wird vernetzt.
„Das Internet der Dinge hat das Potential, die Gesellschaft stärker zu beeinflussen als die erste digitale Revolution“, zitierte er gleich zu Beginn des Tages den ehemaligen wissenschaftlichen Berater in Großbritannien Mark Walport. Aber wo sind da eigentlich die Journalistinnen und Journalisten? Sollten sie nicht kritisch beobachten und auseinandernehmen, wie sich die Welt um uns neu vernetzt? Und sollten sie nicht ausprobieren, wie diese Technologien für die Recherche nutzen lassen?
Darum ging es John Mills in seinem Vortrag besonders. Denn seiner Meinung nach haben die vernetzten Dinge für den Journalismus riesige Potentiale. Zumindest, wenn man sie anfängt, zu heben. Er forscht beim Media Innovation Center der Universität Lancashire seit Jahren an der Frage, wie Medien vernetzte Geräte für sich nutzen können.
Neuer Austausch
Was diese neuen Technologien für den Journalismus bewirken können? Das zu zeigen war das Ziel dieser Konferenz, die die Journalisten Jakob Vicari (frei), Jan-Georg Plavec (Stuttgarter Nachrichten) und Hendrik Lehmann (Tagesspiegel) ins Leben gerufen haben.
Im Mai begründeten sie deshalb „Manifest für den Journalismus der Dinge“ auf der Re:publica (es kann auf Github heruntergeladen und verändert werden). Auf der Konferenz sollten nun die Macher dieser neuen Spielart des Journalismus eine Gelegenheit bekommen, sich mit Forschern, der Maker-Szene und Technologieunternehmen auszutauschen. Denn die meisten dieser neuen Recherchen funktionieren nur interdisziplinär.
Mills nannte gleich zu Anfang seine eigenen Beispiele. „Newsthings” zum Beispiel. Damit testet er neue Wege der Interaktion zwischen Leser und Journalisten: Mit „Printerthing” können Nutzer Artikel speichern und am Abend ausdrucken. „RadioThing” liest entsprechende Artikel vor.
Oder die interaktive Zeitung. Mit vernetzter Tinte können Leserinnen und Leser über ihre gedruckte Zeitung direkt per Fingerdruck ihr Feedback in die Redaktion senden oder multimediale Inhalte abrufen. Und in seinem neuen Projekt SenseMaker versucht er, ein Sensorkit zu entwickeln, mit dem Journalistinnen und Journalisten schneller Daten in ihrer Umwelt erheben können.
Wie Sensoren die Recherche verändern
Doch auch Drohnen, Sprachassistenten, Fitnesstracker und Satelliten werden inzwischen von den ersten Redaktionen genutzt. Vor allem bei investigativen Recherchen lieferten Sensordaten in den vergangenen Jahren entscheidende Hinweise. So stellte Dimitri Tokmetzis das Projekt der niederländischen Nachrichtenwebsite De Correspondent vor, in dem Fitnesstracker die Hauptrolle spielen. Diese stellten die Bewegungsdaten ihrer Nutzer ins Internet. Leider oft ohne deren Kenntnis. Tokmetzis analysierte die Daten und fand die Joggingstrecken tausender Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter. Sogar ihre Privatadressen fanden sich in den Daten.
Andere Geschichten zeigen, dass Sensoren auch völlig neue Perspektiven ermöglichen können. Zum Beispiel, wenn sie aus der Natur berichten. In diesen Fällen sind es bislang noch meist Forscher, die Daten liefern können. Wie etwa in Tansania, wo Sprengstofffischerei mit Hilfe von Sensoren aufgedeckt wird. Oder am Max-Planck Institut für Verhaltensbiologie, wo Martin Wikelski Tracker für Tiere entwickelt hat, mit denen sich ihr Verhalten anders verstehen lässt.
Mehr Sensoren, genauere Daten
Was die Projekte auch zeigen: Dank immer günstiger werdender, technologischer Komponenten können auch größere Stückzahlen an Sensoren gebaut werden. So werden Bürger Teil der Recherche. Dies nutze etwa der Tagesspiegel beim Radmesser, wo 100 Freiwillige mit Abstandssensoren durch Berlin fuhren. Andere Projekte entstanden aus Bürgerinitiativen, die Sensortechnologien nutzen. Etwa der Deutsche Fluglärmdienst, der seit Jahrzehnten die Lärmbelastung durch einzelne Flugbewegungen erfasst und katalogisiert.
Oder Luftdaten.info. Es wurde besonders bekannt, als die Stuttgarter Nachrichten mit Freiwilligen in Stuttgart erhoben, wo die Luft in der Stadt besonders schmutzig ist. Mittlerweile messen über 10.000 selbstgebaute Sensoren den Feinstaubgehalt. Der Erfolg im Projekt bestand im Zusammenspiel von Bastlerszene, journalitischer Aufbereitung und der so erzeugten Reichweite.
Wie geht es weiter?
Was die Zukunft bringt? „Ich weiß es nicht”, sagte Mills in seiner Eröffnungsrede. Was all die Projekte verbindet, ist die Frage nach ihrer Finanzierung. Solche Projekte kosten Geld, auch wenn viele ehrenamtlich mitarbeiten. Medienförderungen können helfen, wie immer wieder Projekte erzählten. Andere Initativen leben von Spenden.
Vor allem kosten Projekte mit Sensoren aber Zeit. Das muss man sich als Journalist leisten können. Für Einsteiger empfiehlt Tokmetzis, sich die Website für Online-Investigation Bellingcat anzuschauen. Dort wird zum Beispiel für Einsteiger erklärt, wie man Flugzeuge tracken kann. Andere hatten den simplen Rat: Einfach machen und ausprobieren! Das meiste klappt sowieso nicht beim ersten Mal.
Die spannendsten Projekte
Wie viel solcher Projekte international doch schon geklappt haben, lässt sich nicht in einem kurzen Konferenzbericht zusammenfassen. Wir haben deswegen hier noch mal als Liste die spannendsten Sensorrecherchen zusammengestellt, die auf der ersten Journalism of Things Conference vorgestellt wurden. Die Präsentationen aller Teilnehmer finden Sie hier.
- Ein Fitnesstracker verriet die Adressen tausender Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter
- Die Schweizer SonntagsZeitung jagte mit GPS-Trackern gestohlene Fahrräder
- Sensoren deckten Sprengstofffischerei auf
- Eine Firma kann mit Hilfe von Satelliten illegale Minen aufspüren
- Bienen verrieten ihren Alltag in Echtzeit
- Zehntausende Sensoren messen in Stuttgart den Feinstaub in der Luft
- Eine Bürgerinitiative sammelt seit Jahrzehnten genaue Daten zu Fluglärm
- Fahrradfahrer maßen in Berlin, wie eng sie von Autofahrern überholt wurden
- Ein Radarsensor überprüfte die Geschwindigkeiten auf Berlins Straßen
- Die Firma Teralytics liefert Analysen aus Mobilfunkdaten
- Am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie entwickeln die Forscher „Wearables für Tiere”
- Ein GPS-Tracker beweist, dass der Paketbote den Abholzettel einwirft, ohne zu klingeln