Wie heiß wird es in Ihrem Kiez? Die Karte zeigt die durchschnittliche Anzahl an Sommertagen pro Jahr im Zeitraum 2041-2070 an. Klicken Sie auf den jeweiligen Kiez, um auch die Zahl der Hitzetage und Tropennächte zu erfahren! Datenquelle: Umweltatlas der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt.

Großwetterklage: Klimawandel in Berlin

Wolkenbrüche, Tropennächte, Hitzetote: Schon jetzt ist der Klimawandel spürbar in Berlin. Wie man ihm begegnen soll, darüber streiten Wetterforscher, Stadtentwickler, Parteien und Bürgerinitiativen.
Von neun auf 13 in 100 Jahren. Die Jahresdurchschnittstemperatur in Berlin steigt in den nächsten Jahrzehnten dramatisch.

Es war ein Wolkenbruch wie aus dem Bilderbuch, der am 27. Juli auf Berlin niederging. Hauptstraßen waren unpassierbar, U-Bahnhöfe überflutet, im Gleim-Tunnel zwischen Wedding und Prenzlauer Berg spülte das Wasser die Autos wie Spielzeuge durcheinander. 46 Liter Wasser pro Quadratmeter fielen innerhalb von zwei Stunden, berichtet Stephan Natz, Sprecher der Berliner Wasserbetriebe.

Und das war noch nicht mal ein Rekord. Fast die dreifache Menge an Regen, knapp 130 Liter, ging im August 2006 innerhalb einer guten Stunde auf Tegel nieder. Das Wasser floss vom Flugfeld in den Autobahntunnel, strömte an seinem tiefsten Punkt in einen Pumpraum, durchschlug drei Panzerglasfenster und drückte schließlich einen Gullideckel mit solcher Kraft hoch, dass er auf der Motorhaube eines VW-Golf landete. Die Fahrerin kam mit dem Schrecken davon.

Welchen Stadtbezirk solche Starkregenereignisse treffen, können Meteorologen immer noch schwer vorhersagen. Aber eins ist sicher: Mit zunehmender Erderwärmung werden die Wolkenbrüche häufiger, denn warme Luft kann mehr Wasser aufnehmen als kühle – und wenn sie gesättigt ist, prasselt umso mehr Regen auf die Erde.

Die Tage werden heißer

Schon heute ist der Klimawandel in Berlin spürbar. Die Tage werden heißer, die Hitzeperioden häufiger und intensiver. Auch nachts wird es wärmer: 22 sogenannte tropische Nächte mit Temperaturen über 20 Grad maß die Wetterstation am Alexanderplatz im Rekordsommer 2006. Im Schnitt werden dort fünf Tropennächte pro Jahr registriert – unter allen Messstationen in Deutschland ist das der höchste Wert, sagt der Deutsche Wetterdienst. Grund für die Rekordtemperaturen ist die Versiegelung des Bodens mit Pflaster, Asphalt und Beton. Auch die dichte Bebauung speichert Wärme. Städte sind deshalb Hitzeinseln, in Sommernächten kann es in der Berliner Innenstadt fünf bis zehn Grad wärmer sein als am Stadtrand.

Mit dem Klimawandel wird die Zahl der Tropennächte weiter zunehmen. Das legen Berechnungen nahe, die das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) dieses Jahr für den Berliner Senat erarbeitet hat. Die Ergebnisse mündeten in den Plan »Anpassung an die Folgen des Klimawandels«. Wo es schon heute besonders warm wird, zeigt der Berliner Umweltatlas, ein umfangreiches Kartenwerk der Verwaltung, in dem unter anderem die Umweltgerechtigkeit in den Wohnvierteln der Stadt aufgeschlüsselt wird. In der Rangliste der Quartiere mit den wärmsten Nächten steht ganz oben der Beusselkiez in Moabit, es folgen der feine Ludwigkirchplatz und der Savignyplatz in Charlottenburg sowie der Nikolsburger Platz in Wilmersdorf.

Prima, packen wir halt die Badehose ein

Jetzt könnte man sagen: Prima, wenn es immer wärmer wird, packen wir eben die Badehose ein und fahren raus nach Wannsee. Doch besonders alte Menschen, Kranke und kleine Kinder werden mit Hitze schlecht fertig. Für Menschen mit Herz-Kreislauf-Beschwerden und Lungenleiden können Tropennächte sogar lebensbedrohlich werden (mehr dazu im nebenstehenden Interview). Mit 50 000 Todesopfern gehörte die europäische Hitzewelle im August 2003 weltweit zu den schlimmsten Naturkatastrophen der letzten 40 Jahre. Am schwersten getroffen wurde Paris, wo sich die Sterberate von Menschen über 75 vervierfachte.

Tropennächte. Die Grafik zeigt die Zahl der Nächte pro Jahr, in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad fällt.

»Der Hitzesommer von 2003 war nach bisherigen Maßstäben außergewöhnlich warm«, sagt Fritz Reusswig vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. »Aber um 2050 herum wird das wahrscheinlich ein normaler Sommer sein, und um 2100 würden wir einen Sommer wie den von 2003 als besonders kühl empfinden.«

Es ist ein heißer Tag im Juli, an dem diese Worte fallen, im Silent Green Kulturquartier präsentiert Reusswig den Senatsplan zur Klimafolgenbewältigung, an dessen Erarbeitung sein Institut beteiligt war. Das ehemalige Krematorium Wedding ist als Veranstaltungsort gut gewählt, es ist angenehm kühl in der früheren Trauerhalle. Sie ist vollbesetzt mit Menschen, die sich in Berlin mit dem Thema Klimawandel beschäftigen.

Jedes Jahr 1600 Hitzetote

Alarmierend sind die Ergebnisse eines von mehreren Berliner Universitäten erarbeiteten Forschungsberichts namens »Stadtklima und Hitzestress«, das Reusswig in seinem Vortrag zitiert: Jedes Jahr, heißt es darin, sterben im Schnitt 1600 Berlinerinnen und Berliner vorzeitig an Hitzefolgen. Wie sich die Stadt gegen diese und andere Folgen des Klimawandels wappnen kann? Der Senatsplan empfiehlt unter anderem den Ausbau von Frühwarnsystemen, ein Trinkbrunnennetz für die gesamte Stadt sowie ein Krankenhausprogramm. Welch gute Ergebnisse man mit Letzterem erzielen kann, hat die Charité in einem Versuch mit zwei Kühlzimmern herausgefunden. »Wir haben erst nicht besonders viel davon erwartet«, sagt Studienleiter Christian Witt im Anschluss an Reusswigs Vortrag. Doch die zufällig ausgewählten Patienten, die im Hochsommer kühl liegen durften, genasen schneller und konnten eher entlassen werden als andere Patienten.

Was die Stadtentwicklung angeht, empfiehlt der Senatsplan die Sicherung von Grünflächen. Berlin stehe in dieser Hinsicht noch relativ gut da, sagt Jörn Welsch von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt: »Durch die Kriegsschäden und die Architektur der Wiederaufbauphase gibt es immer noch unbebaute Grundstücke und gut durchgrünte Baugebiete in Berlin, auch im Stadtzentrum. Diesen Wert auch in Zeiten der wachsenden Stadt zu erhalten, ist eine wichtige Aufgabe, heute und in Zukunft.«

Der Druck ist groß, dichter zu bauen

Beton, Glas, Straßen. Je versiegelter ein Stadtteil ist, desto heißer wird es dort. Die Karte zeigt häuserblockgenau, wo die Stadt am meisten zugebaut ist. Datenquelle: Umweltatlas der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt

Zur Zeit aber ist der Druck groß, die Berliner Bebauung zu verdichten, um zusätzlichen Wohnraum zu schaffen. Bürgerinitiativen und Naturschutzverbände warnen bereits davor. Sie fordern in einem Positionspapier, grüne Freiflächen dauerhaft zu sichern und von Bebauung frei zu halten. Zwar besteht Berlin derzeit zu mehr als 40 Prozent aus Grünflächen. Doch die größten davon liegen weit draußen – im Grunewald, im Tegeler Forst oder rund um den Müggelsee. Nicht alle sind zudem in Sachen Klima von gleicher Qualität. Das Tempelhofer Feld beispielsweise zählt zwar nachts zu den wichtigen Entstehungsgebieten für Kaltluft. Tagsüber aber kann auf dem baumlosen Gelände bei Windstille eine Strahlungstemperatur von 50 Grad herrschen.

Die gute Nachricht ist, dass es in Berlin ein großes Potenzial zur sogenannten Entsiegelung gibt, der Umwandlung asphaltierter Stadtbereiche in Grünzüge. Die Senatsverwaltung hat bereits eine Liste von Flächen angelegt, die dafür in Frage kommen. Die größte ist die frühere Fahrbereitschaft der Staatssicherheit in Wartenberg, wo sechs Hektar Betonboden aufgebrochen und begrünt werden könnten. Auch ein ehemaliges Gewerbegebiet nahe der Max-Schmeling-Halle soll demnächst in die Erweiterung des Mauerparks eingehen.

Besonders wichtig sind Entsiegelung und kühlende Grünflächen dort, wo die Bebauung dicht ist und die Bewohner aufgrund finanzieller Nachteile der Hitze schlechter entfliehen können als wohlhabendere Städter – sei es in den Kleingarten, in den Urlaub oder auch nur zu einem Ausflug ins Umland. Als solche Kieze gelten etwa die Emdener Straße in Moabit sowie die Reinickendorfer, die Soldiner Straße und der Sparrplatz in Wedding.

Wie schlimm trifft es meinen Kiez?

Einige trifft es härter. Die Karte zeigt, in welchen Kiezen besonders viele negative Faktoren zusammen kommen: Hitze, schlechte Luft, Lärm, wenig Nähe zu Grünflächen und wenig Gehalt. Datenquelle: Umweltgerechtigkeitskarte der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt.

Dachgärten könnten Entlastung bringen

Zum anderen können Neubaugebiete klimafreundlich gestaltet werden, etwa durch Dachgärten und Fassadenbegrünung. Wie das aussehen kann, beschreibt die Senatsverwaltung im »Stadtentwicklungsplan Klima konkret«. Ein einfaches Beispiel: Offene Durchgänge in den Neubauten Am Lokdepot in Kreuzberg lassen kühle Luft vom Park am Gleisdreieck in die Innenhöfe.

Schon 2011 hatte die Senatsverwaltung einen ähnlichen Plan vorgelegt, der den klimagerechten Stadtumbau insgesamt im Auge hat. Das sei schon etwas Besonderes, sagt Heike Stock vom Referat Stadtentwicklungsplanung: »Berlin ist immer noch die einzige Kommune, die so einen Plan in die Bauplanung eingearbeitet hat. Darum beneiden uns andere Städte.« Wenn die Bezirke einen Bebauungsplan aufstellen, müssen sie den Klimaplan in die Abwägung einbeziehen. »Damit verankert sich das Thema zunehmend«, glaubt Stock.

Und noch einen Plan, ein wahres Datenmonster, hat die Verwaltung in Auftrag gegeben: die »Planungshinweiskarte Stadtklima« von 2015. Im Silent Green Kulturquartier stellt Peter Trute von der Hannoveraner Firma Geo-Net das Werk noch einmal vor. Er spricht bedächtig, in seinem Job ist Sorgfalt gefragt. Viele Millionen Datenpunkte hat Geo-Net analysiert, fünf Wochen rechneten die Computer der Firma an der Karte.

Auf zehn Meter genau sind jetzt sämtliche klimatisch wichtigen Bestandteile Berlins kartiert: Gebäude, Gewässer, Grünflächen, Straßen. Für die wärmste Stunde des Tages um 14 Uhr und die kühlste Stunde der Nacht um 4 Uhr sind in der Karte die sommerlichen Lufttemperaturen und -strömungen hinterlegt. So lässt sich ablesen, in welchen Kiezen der intensivste Hitzestress droht. Demnach herrscht schon heute in 60 Prozent des Berliner Stadtgebiets eine »ungünstige« oder »weniger günstige« Klimasituation.

Für jeden Kiez gibt es Empfehlungen

Ungut gelegen. Der Großteil der Siedlungsräume Berlins hat eine ungünstige Ausgangslage für den kommenden Klimawandel.

Die Daten der Stadtplaner beantworten noch weitere Fragen: Wo wohnen viele alte Menschen oder Kinder? Wie weit reichen Kaltluftströme in ein Wohngebiet hinein? Welche Grünflächen sind besonders wichtig, weil sie in dicht besiedelten Gebieten liegen? Für jeden Kiez geben die Datenauswertungen der Analysten Empfehlungen für die weitere Planung. Erstmalig sind auch Straßen gesondert erfasst – Flächen, die der Stadt gehören, der Senat hätte hier also sofort Zugriff, um Berlin an den Klimawandel anzupassen, etwa durch das Anpflanzen von Bäumen.

Ein weiteres Klima-Schlagwort lautet »Schwammstadt«. Gemeint ist das Management von Regenwasser. Gründächer, Versickerungsmulden, Teiche und klassische Regenspeicher können die Kanalisation entlasten und das Stadtklima verbessern, denn beim Verdunsten entfaltet gespeichertes Regenwasser seine kühlende Wirkung. »Solche Schwämme sind die Kühlschränke der Stadt«, erklärt der Landschaftsarchitekt Carlo Becker. Er tippt auf eine Karte der Gartenstadt auf dem Bornstedter Feld in Potsdam, wo das gesamte Regenwasser im Boden versickert. Das hilft, Fischsterben zu vermeiden, wie sie nach Starkregenereignissen immer wieder vorkommen, weil zusammen mit dem Regen Nährstoffe wie Pollen von den Straßen in natürliche Gewässer geschwemmt werden. Ihre Zersetzung bindet Sauerstoff, die Fische ersticken. Erst im Juli glänzte der Machnower See nach einem Unwetter silbern von den Leibern toter Fische, auch im Landwehrkanal kommt es immer wieder zu massenhaftem Fischsterben.

Die Wiederentdeckung des Straßengrabens

Das Konzept eines abflusslosen Quartiers wurde auch in Adlershof umgesetzt, wo Regen nun in sogenannten Muldenrigolen versickert. »Das ist die intelligente Wiederentdeckung des Straßengrabens mit Dränage«, erklärt Stefan Natz von den Berliner Wasserbetrieben. Unter den Straßengräben liegt eine Schicht Kies, die den Regen gut im Untergrund versickern lässt. Auch Gründächer helfen beim Kühlen der Stadt. Einen Antrag der Grünen auf ein entsprechendes Stadtentwicklungsprogramm hat das Abgeordnetenhaus jedoch gerade derart verwässert, dass es wohl nicht viel zum Klimaschutz beitragen wird. Dächer, Fassaden und Wände sollen laut Beschluss nun zwar »weitestmöglich begrünt und ökologisch aufgewertet werden«. Ein entscheidender Punkt aber fehlt im Vergleich zum ursprünglichen Antrag der Grünen: Berlin wird keine Fördermittel für den Bau von Gründächern gewähren, so wie es Hamburg, Stuttgart oder München tun.

Das Beispiel ist symptomatisch: »In Berlin gibt es zahlreiche wunderbare Planwerke, aber wir haben ein Umsetzungsproblem«, sagt Wilhelm-Friedrich Graf zu Lynar, Leiter des Umweltamts in Charlottenburg-Wilmersdorf, der trotz seines Adelstitels kein Mann der vornehmen Zurückhaltung ist. »Seit der Neufassung der Bauordnung vor zehn Jahren sind an der Erteilung von Baugenehmigungen fast nur noch das Bauaufsichts- und das Stadtplanungsamt beteiligt«, kritisiert Lynar. Dabei seien eigentlich die Umwelt- und Naturschutzämter diejenigen, die mit ihrem Know-how die Anpassung an den Klimawandel mitdenken könnten. Dafür gebe es derzeit aber nur ein einziges brauchbares Werkzeug: den sogenannten Biotopflächenfaktor. Der schreibt vor, dass bei Neubauten 60 Prozent des Gesamtgrundstücks von unversiegelten Flächen oder Gründächern belegt sein müssen.

Wer soll die gut gemeinten Pläne umsetzen?

Politisch fände Lynar eine erneute Änderung der Bauordnung wünschenswert. Recht erfolgreich sei das Hofbegrünungsprogramm der 80er Jahre gewesen. »Das hat eine Menge bewirkt und war nicht teuer.« Der damalige Bausenator Peter Strieder (SPD) habe es aber einschlafen lassen. Auch personell müsste dringend nachgebessert werden, meint der Leiter des Bezirksumweltamts. »Nach den vielen Einsparungen der letzten 20 Jahre sind wir schon lange nicht mehr in der Lage, zusätzliche Aufgaben wie die Folgen der Klimaanpassung anzugehen. Wer soll also die tollen Planungen umsetzen?«

Sicher, es gibt wegweisende Beschlüsse: Die Stadt will sich bis 2050 dekarbonisieren, also aus den fossilen Energien aussteigen. Dass das möglich ist, hat das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung in einer Machbarkeitsstudie beschrieben. Im Frühjahr beschloss das Abgeordnetenhaus ein Energiewendegesetz. Es verpflichtet den Senat, »Strategien und Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen, die darauf abzielen, die Anpassungsfähigkeit natürlicher, gesellschaftlicher und ökonomischer Systeme zu verbessern und die Funktion der städtischen Infrastrukturen sowie die urbane Lebensqualität zu erhalten«. Wie das konkret aussieht, steht im Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm (BEK), das eigentlich noch vor der Sommerpause beschlossen werden sollte, dann aber Koalitionsstreitereien zum Opfer fiel.

Druck macht die Zivilgesellschaft. So arbeitet der Berliner Energietisch weiter, nachdem sein Volksentscheid für den Kauf des Berliner Stromnetzes 2013 knapp scheiterte. Danach gründete Berlin ein eigenes Stadtwerk, das von Kritikern als Bonsai-Projekt verspottet wird. »Das Ministadtwerk muss dringend ausgebaut werden, hin zu einem Treiber der bürgernahen Energiewende«, sagt Christine Kühnel, die Sprecherin des Energietischs. »Abgesehen davon gilt es, das Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm zu beschließen und endlich mit der Umsetzung anzufangen. Leider blockiert hier wie so oft die CDU.«

Die fußgängerfreundliche Stadt wäre auch klimafreundlicher

Auch beim wichtigen Thema Verkehr tut sich noch nicht genug. 2010 war der Verkehrssektor für rund ein Viertel der Berliner Emissionen verantwortlich. Seit 1990 sind sie nicht gesunken. »Der träge Tanker muss sich in Bewegung setzen«, sagt Norbert Rheinlaender, einer der langjährigen Aktivisten für eine fußgängerfreundliche Stadt. In seinem Büro in der Crellestraße hängen Plakate der von Rheinlaender mitgegründeten Bürgerinitiative Westtangente. Ihr ist es zu verdanken, dass heute ein Grüngürtel statt einer Autobahn vom Potsdamer Platz bis zum Südgelände reicht. Doch der Kampf ist für den Stadtplaner noch lange nicht zu Ende. Berlin müsste jetzt weiter gehen, etwa durch eine Erweiterung des Berliner Straßenbahnnetzes, sagt Rheinlaender. Er breitet einen Plan aus den 20er Jahren aus, auf dem dicht an dicht die damaligen Straßenbahnlinien eingezeichnet sind. Mehr Einwohner als heute kamen so zuverlässig von A nach B – in einer Stadt mit wesentlich geringerer Motorisierung. »Die Straßenbahnen könnten heute mit Strom aus erneuerbaren Energie fahren«, spinnt Rheinlaender den Faden weiter. Weg vom Verbrennungsmotor, hin zu umweltfreundlichem Straßenbahn- und Fahrradverkehr – das wäre ein Beitrag zur anderen großen Aufgabe, die Berlin lösen muss: der Minderung von Treibhausgasen.

Ändern müsste sich, wenn man die Anpassung an den Klimawandel konsequent zu Ende denkt, der gesamte städtische Konsum- und Lebensstil. Gebraucht wird eine »Große Transformation« – so nennt es der WBGU, der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen. Das Ausmaß des notwendigen Wandels, heißt es in einem Positionspapier des Umweltrats, sei »vergleichbar mit den beiden fundamentalen Transformationen der Weltgeschichte: der Neolithischen Revolution, also der Verbreitung von Ackerbau und Viehzucht, und der Industriellen Revolution«.

Ein dickes Brett – wie soll man es bohren?

Schwer zu sagen, wie dieses dicke Brett zu bohren ist. »Die Größe der Aufgabe scheint uns im Weg zu stehen«, sagt im Silent Green Kulturquartier Petra Mahrenholz, Fachgebietsleiterin für Strategieentwicklung im Umweltbundesamt. »Der Weg vom Wissen zum Handeln ist lang und führt über unwegsames Gelände.« Weil aber auch der Weg zu fernen Zielen mit dem ersten Schritt beginnt, zeichnet das Umweltbundesamt im Wettbewerb »Blauer Kompass« beispielhafte Kleinprojekte aus. Unter den vier bundesweiten Gewinnern war 2016 beispielsweise das Berliner Projekt KiezKlima aus dem Brunnenviertel. Den Preis bekam es, weil es die Bewohner für die Klimaanpassung an ihrem Wohnort begeistern konnte.

Auf der Suche nach Lösungen. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks besuchte auf ihrer Sommerreise verschiede Umweltprojekte in Berlin. Foto: Wolfgang Kumm/dpa

Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) besuchte das Projekt vor zwei Wochen während ihrer politischen Sommertour durch Berlin, an einem heißen Sommertag, der wie gemacht schien, um über Klimaanpassung nachzudenken. Den Rundgang der Ministerin begleitete auch KiezKlima-Projektmanagerin Claudia Leifert. »Wichtig war, bei den Bewohnern überhaupt erst ein Bewusstsein für den Klimawandel zu schaffen«, umriss sie ihre Zielsetzung. Auf Initiative des Projekts hat sich in der Stadt ein Netzwerk von Trinkpaten gebildet. »Das sind Geschäfte und andere Orte, wo man kostenlos ein Glas Wasser bekommt«, erklärt Leifert, die als nächstes Projekt Bewohner-Initiativen zur Begrünung von Innenhöfen gründen möchte. »Wir wollen zeigen: Der Klimawandel ist da, aber er muss keine Katastrophe sein, wenn man vorhandenes Wissen nutzt, um Grünräume zu schaffen und zu erhalten.«

Wasserspenden und Hofgärtnerei: Manche mögen solche Kleinstinitiativen amüsant finden angesichts der gigantischen Herausforderungen, die der Klimawandel an die Stadtentwicklung stellt, angesichts der apokalyptischen Prognosen, die Wissenschaftler in ihren Studien entfalten, auch angesichts des politischen Hickhacks, dem in Berlin so viele kluge Ansätze zum Opfer fallen. Aber irgendwo muss man ja anfangen.


Text: Susanne Ehlerding, Datenvisualisierung: Hendrik Lehmann

Ein Projekt von Mehr Berlin

Danke an Jörn Welsch von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt für die bereitwillige Unterstützung beim Umgang mit den Umweltdaten der Stadtverwaltung. Außerdem danke an Nicolas Zoeller (FH Potsdam), der die Hochrechnung von Blockdaten auf Kiezebene ermöglicht hat.