Aufmarschiert. Sebastian Villarroel, Peter Hagen, Andrew Shaw, Laura Kauther und Thomas Münkel bauen in Berlin Coya auf. Foto: promo

Startups gründen Versicherungen

Gründer machen Versicherungskonzernen Konkurrenz, indem sie eigene Policen entwickeln. Um besonders günstig zu sein, wollen sie verfolgen, wie gesund wir leben und wo wir uns aufhalten.

Wenn es ein Adjektiv gibt, das zu Versicherungen nicht passt, dann ist das cool. Fabian Wesemann will das ändern. Deshalb hat er Wefox mitgegründet, eine Plattform, über die Versicherungsmakler ihre Kunden online statt zu Hause treffen. Beraten wird per Videochat. Auf dem Bildschirm können die Kunden dabei nicht nur den Makler sehen, sondern auch mitverfolgen, wie die Kosten für die Versicherung je nach Leistung steigen oder sinken. „Dass der Makler beim Kunden auf dem Sofa sitzt, ist längst überholt“, sagt Wesemann.

Wefox ist eines der Berliner Startups, die den Versicherungsmarkt umkrempeln wollen. Mehr als 100 der sogenannten Insurtechs gibt es inzwischen bundesweit – etwa die Hälfte ist erst in den letzten anderthalb Jahren entstanden. Mit der Versicherungsbranche haben sich die Gründer lange schwergetan. Der Markt ist hochreguliert und komplex. Die ersten Startups haben sich deshalb auf Nischen konzentriert: Sie haben wie Feelix einen digitalen Versicherungsordner entwickelt oder vertreiben wie Simplesurance im Netz Spezialpolicen etablierter Anbieter für Fahrräder oder Laptops. An das Kernprodukt, die Versicherung, haben sich die Gründer nicht herangetraut. Bis jetzt.

Finanzaufsicht vergibt Lizenzen an Startups

Gleich mehrere Startups haben in den letzten Monaten eine Lizenz von der Finanzaufsicht erhalten. Nun bauen sie eigene Versicherungen auf. So wie N26 ein Girokonto rein fürs Smartphone entwickelt hat, wollen sie Policen speziell für die Millenials anbieten: die junge Generation, die immer online ist und selbst eine Versicherung übers Smartphone abschließen will.

Bei den alteingesessenen Konzernen ist das oft nicht so einfach möglich. Das wissen die Gründer von Wefox aus Erfahrung. Policen von 300 Versicherern werden heute über ihre Plattform vermittelt. Weil sie den Maklern auch einen Großteil des Papierkrams abnehmen, wissen die Gründer, was bei welchem Versicherer digital funktioniert und was nicht. Für die Kunden ist das oft frustrierend: Eine Versicherung per Videochat abzuschließen ist bequem – dann mehrere Tage auf die Unterlagen zu warten, nervig. Um den Konzernen zu zeigen, dass das anders geht, haben die Berliner deshalb ihre eigene Versicherung gegründet.

One heißt die schlicht, im Angebot sind bislang Policen für Hausrat und Schaden, weitere sollen folgen. Eine Lizenz haben sie dafür in Liechtenstein beantragt. „Auf diese Weise können wir unsere Versicherung nicht nur EU-weit sondern auch gleich in der Schweiz vertreiben“, sagt Wesemann.

Das Ende der Makler?

Die Ambitionen sind groß. Aber braucht man eine digitale Versicherung überhaupt? Und vor allem: Was kann die, was bisherige Produkte nicht können? Das hat sich auch Thomas Münkel gefragt. Er kennt die Branche seit 32 Jahren, hat bei der Aachen Münchener und der Allianz gearbeitet, zuletzt saß er im Vorstand eines österreichischen Versicherungskonzerns. „Ich habe über zehn Jahre beobachtet, was Startups aus der Branche machen“, sagt er. „Echte Innovationen waren nicht dabei.“ Seine Meinung änderte er erst, als er von Andrew Shaws neuem Projekt hörte. Shaw war Technikchef beim Finanz-Startup Kreditech – jetzt baut er in Berlin den Versicherer Coya auf.

„Wir wollen die Versicherung so einfach machen, dass die Kunden keinen Makler mehr brauchen, um die Verträge zu verstehen“, sagt Münkel. Indem der Vermittler außen vor bleibt, der sonst zwischen Kunde und Versicherung steht und Provisionen kassiert, wird das Produkt sehr viel günstiger. Das ist einer der Punkte, die Münkel überzeugt hat, der nun Vorstandsvorsitzender bei Coya ist. Wie Wefox wollen auch die Gründer um Shaw und Münkel den Papierkram reduzieren und vieles automatisieren, was bei den Konzernen noch händisch gemacht wird. Künstliche Intelligenz soll ebenfalls zum Einsatz kommen. Noch klingt all das bewusst vage – zu viel will Münkel nicht verraten, bis in wenigen Wochen ihre erste Versicherung für den Hausrat auf den Markt kommt.

Das eigene Verhalten als Kostenfaktor

Schon etwas weiter ist man in München, wo vor einem Jahr Ottonova mit einer digitalen Krankenversicherung an den Start gegangen ist. Die Erfolge sind bislang zwar überschaubar, von ein paar hundert Vollversicherten ist die Rede. Doch Chef Roman Rittweger lässt sich davon nicht beirren. „Die Krankenversicherung ist eine lebenslange Investition, die schließt man nicht mal eben so ab.“ Geht sein Plan auf, sind sie in zwei bis drei Jahren bei 10.000 Kunden. Locken will er die mit Schnelligkeit und geringen Kosten. So verspricht er etwa, Arztrechnungen innerhalb eines Tages zu begleichen.

Doch auch das ist nur der Anfang. Noch nutzen Gründer wie die meisten alteingesessenen Konzerne rein statische Daten: Für eine Hausratversicherung etwa fragen sie ab, wo man wohnt und wie viel Quadratmeter man hat. In Zukunft sollen die Versicherungen dagegen sehr viel individueller werden. Wie viel man für eine Police zahlt, hängt dann rein vom eigenen Verhalten ab.

Generali bietet schon Rabatte für gesunde Kunden an

Wie das geht, hat bereits die Versicherung Generali vorgemacht: Sie gewährt ihren Kunden Vergünstigungen, wenn die mehr Sport machen und ihre Fitnessdaten über eine App mit dem Versicherer teilen. Hat das vor zwei Jahren noch für einen Aufschrei gesorgt, arbeiten die Startups heute wie selbstverständlich an solchen Lösungen. Keysurance aus München etwa will aufzeichnen, wie oft man mit dem Auto eines Carsharing-Dienstes unterwegs ist. Kauft der Kunde sich dann später mal selbst ein Auto und braucht eine Versicherung, kann er sich diese Zeiten als Fahrpraxis anrechnen lassen – und muss so weniger zahlen.

Andere Versicherer arbeiten an ähnlichen Modellen. Neodigital zum Beispiel, ein Startup, das erst vor wenigen Wochen seine Lizenz von der Finanzaufsicht Bafin bekommen hat und im Netz Hausrat-, Unfall- und Privathaftpflichtversicherungen anbietet. Gründer Stephen Voss glaubt: „Langfristig wird das Internet der Dinge die Versicherungen verändern.“ Vorstellen kann er sich etwa, dass die Alarmanlage übers Internet mit ihnen verbunden wird: Ist sie eingeschaltet, bekommt der Kunde Rabatt. Selbst den Wasserverbrauch könnte der Versicherer tracken, um frühzeitig einen Wasserschaden zu erkennen.

Überwachung oder Effizienzrevolution?

Was nach totaler Überwachung klingt, soll Versicherungen günstiger und individueller machen. Daran glaubt man auch bei Wefox, dem Makler-Startup mit eigener Versicherung. Um herauszufinden, was mit dem Tracking der Kunden möglich ist, hat sich Wefox mit dem Rückversicherer Munich Re und dem Gründer von Google Maps, Stefan Muff, zusammengetan. Wer eine One-Versicherung abschließt, kann jetzt Bonuspunkte sammeln, indem er dem Startup erlaubt, sein Verhalten zu verfolgen: Über den Bewegungssensor und das GPS-Modul im Smartphone erfassen die Gründer, wie lange man schläft, arbeitet oder sich bewegt. Wer Sport macht, sich Pausen gönnt, bekommt Bonuspunkte. Am Ende des Jahres soll man die in Guthaben umwandeln oder dafür nutzen können, seinen Versicherungsbeitrag zu senken.

Vorerst will Wefox so nur testen, was möglich ist. Langfristig will es die Echtzeit-Daten der Kunden dagegen nutzen, um ihnen zum Beispiel genau im richtigen Moment eine Versicherung anzubieten: etwa den Reiseschutz, wenn man gerade am Flughafen steht. Wer Angst vorm Fliegen hat, kann dann per Smartphone womöglich für die Zeit des Flugs seine Risikolebensversicherung hochsetzen.