»Striktere Regeln als hier gibt es nirgendwo«
Herr Ries, haben Sie Probleme, IT-Spezialisten zum SAP-Hauptsitz nach Walldorf zu locken oder warum eröffnen Sie im November einen Data Space für Start-ups in Berlin?
Der Fachkräftemangel ist ja kein Problem, das nur ein Unternehmen trifft. 2015 gab es in dem Bereich allein in Europa 15 000 offene Stellen. Wir haben mit SAP sogar einen gewissen Vorteil, weil wir als Unternehmen sehr bekannt sind. Deshalb haben wir bisher auch keine Probleme, ausreichend gute Talente zu finden. Aber natürlich gibt es Mitarbeiter, die Nord-Baden vielleicht nicht so schätzen, Berlin dagegen sehr.
Was macht die Hauptstadt so attraktiv sowohl für IT-Fachkräfte als auch für Unternehmen wie SAP?
Zum einen gibt es hier und in Potsdam, wo wir mit unserem Innovationszentrum vertreten sind, hochqualifizierte Hochschulabsolventen. Dazu sind die Lebensbedingungen hervorragend, es gibt viel Kultur, bezahlbare Mieten, eine Melting-Pot-Atmosphäre – und was vielen Leuten vielleicht noch gar nicht so bewusst ist: Berlin gewinnt unheimlich im internationalen Vergleich.
Inwiefern?
Leute aus dem Silicon Valley kommen hierher, weil ihnen dort alles zu groß geworden ist und sie wieder zu den Ursprüngen zurückwollen. Und wer mit Absolventen von Top-Unis wie Stanford, aber auch aus England und Asien spricht, der merkt schnell, dass die hippen Städte nicht mehr Paris und London sind, weil sie zu teuer und zu stark ausgereizt sind. Wir wollen diese Attraktivität Berlins nutzen, um SAP hier mit dem Data Space erlebbar zu machen und eine Stätte der Begegnung zu schaffen, wo sich Start-ups vernetzen und austauschen können.
Aber sind Sie damit nicht eher spät dran, 13 der Dax-30-Unternehmen sind hier bereits mit Accelerator- und Inkubator-Programmen vertreten?
Wir fangen hier ja nicht bei Null an, sondern beschäftigen in Berlin und Potsdam bereits mehr als 1000 Mitarbeiter. Der Data Space ist nur eine konsequente Weiterentwicklung unseres Engagements, zumal wir uns insofern von den anderen Unternehmen unterscheiden, dass wir einen ganz klaren Fokus auf das Internet der Dinge legen, also die Vernetzung von Gegenständen.
Wie viele Arbeitsplätze werden Sie mit dem Data Space schaffen?
Im Erdgeschoss wird sich die von Cookies betriebene Data Kitchen befinden, ein Restaurant, das offen für jedermann ist und sich als Treffpunkt für die Digitalszene etablieren soll (siehe Text unten). In der ersten Etage gibt es dann etwa 40 Arbeitsplätze für Start-ups, in den kommenden Wochen und Monaten werden wir die dafür passenden Unternehmen auswählen. Sie können die Räumlichkeiten kostenlos nutzen, eine finanzielle Unterstützung gibt es jedoch nicht.
Wird der Kampf um IT-Talente in Berlin weiter angeheizt, je mehr große Unternehmen hier Dependancen eröffnen?
Ich würde diesen Hype um den sogenannten War for Talent gerne relativieren. Denn das hängt oft auch davon ab, in welchen Talentpools gesucht wird. Oft suchen wir in den falschen Töpfen oder öffnen bestimmte gar nicht. Wir beschäftigen deshalb jetzt beispielsweise 150 Menschen mit Autismus, die zwar ein Handicap haben, was aber andererseits ein Plus ist, weil sie eben tief in ein Thema eintauchen können. Das trägt zu einer großen Vielfältigkeit im Unternehmen bei.
Die passenden Talente zu fördern, ist eine Sache. Andererseits müssen die Rahmenbedingungen stimmen, damit „das nächste große Ding“ entwickelt werden kann. Sind die Regeln in Deutschland zu strikt im Hinblick auf Datenschutz und Wettbewerb?
Wir sind mit diesen Regulierungen groß geworden, insofern sind sie für uns keine Einschränkung. Im Gegenteil, jegliche Lösungen aus Deutschland kann man eigentlich problemlos im Hinblick auf Datensicherheit exportieren, denn viel stärkere Beschränkungen und Einschränkungen gibt es ja eigentlich nicht. Dennoch dürfen zu strenge Regeln sicher Innovation und Kreativität nicht behindern.
Welche Erwartungen haben Sie denn in dieser Hinsicht an Berlins neue Regierung?
Sie muss dafür sorgen, dass der Standort weiter attraktiv bleibt, dazu gehören beispielsweise auch bezahlbare Wohn- und Lebensräume. Was nicht passieren darf, ist das Gleiche wie in London oder Paris: dass die Stadt extrem teuer und nicht mehr attraktiv für junge Talente ist, die dann wiederum in andere Städte abwandern. Ein zweiter Punkt ist die Vielfalt selbst, die in der Stadt gefördert werden muss. Ich sehe mit Sorge, dass viele Stadtteile immer uniformer werden.
Welche beispielsweise?
Mitte ist heute leider viel steriler, langweiliger und uniformer geworden als noch vor zehn Jahren, mit der Folge, dass innovative und kreative Menschen dort nicht mehr leben möchten. Diese Entwicklung ist okay, so lange es noch attraktive andere Stadtteile gibt. Wenn die aber auch gleichgemacht werden, dann verliert Berlin einen sehr großen Standortvorteil. Diese Vielfalt muss die neue Regierung deshalb unbedingt weiter fördern.
Wenn Berlin aber eine so attraktive Stadt ist, wann verlegt SAP dann seinen Hauptsitz aus Walldorf komplett hierher?
Einen solchen Komplettumzug können wir mit Sicherheit ausschließen. Wir haben viele verschiedene Standorte, was unseren weltweit rund 80 000 Mitarbeitern sehr viel Flexibilität hinsichtlich ihrer Arbeitsplatzwahl ermöglicht. Aber ohne Zweifel ist Berlin bei ihnen besonders beliebt.
Das Gespräch führte Sonja Álvarez.