Mit Software gegen Schlaganfälle & Bulimie
Sehstörungen, heftige Kopfschmerzen, Lähmungserscheinungen: Symptome wie diese sind häufig Zeichen eines Schlaganfalls. Rund 270 000 Deutsche sind jedes Jahr von einer solchen Durchblutungsstörung des Gehirns betroffen – oft mit schwerwiegenden Folgen bis hin zum Tod. Die Rehabilitation von Schlaganfallpatienten ist vergleichsweise teuer: Nach Zahlen des Kompetenznetzwerks Schlaganfall belaufen sich die lebenslangen Behandlungskosten pro Patient in Deutschland durchschnittlich auf mehr als 43 000 Euro. Ausgaben, die sich mithilfe digitaler Technik in Zukunft wohl erheblich reduzieren lassen.
Das Startup Cortrium aus Kopenhagen hat einen tragbaren Sensor entwickelt, der Vitaldaten misst und auch als Frühwarnsystem für Schlaganfälle eingesetzt werden könnte. Noch befindet sich das Gerät in der klinischen Erprobung, doch schon bald könnte der „C-3“ auch in Deutschland die Diagnostik revolutionieren: Die deutsche Tochter des US-Pharmakonzerns Pfizer will den Sensor hierzulande auf den Markt bringen. Das nur wenige Zentimeter große Gerät lässt sich mit Saugnäpfen auf der Brust befestigen und misst den menschlichen Herzschlag, die Atemfrequenz sowie die Körpertemperatur in Echtzeit. „Anhand der Daten lassen sich beispielsweise Herzrhythmusstörungen und somit einer der Risikofaktoren für Schlaganfälle schneller und mit weniger Aufwand als bisher erkennen“, sagt Cortrium-Gründer Erik Poulsen. Bislang seien Ärzte und Patienten auf die Auswertung von Langzeit-Elektrokardiogrammen angewiesen, die die Herztätigkeit über einen Zeitraum von mindestens 24 Stunden messen. „C-3“ ermöglicht diese Messung ohne medizinisches Fachpersonal und reduziert so Behandlungskosten.
DigitalHealth als Pharma-Ergänzung
Cortrium ist eines von drei Startups, mit denen Pfizer in Berlin seit zwei Jahren unter dem Dach des „Berlin Healthcare Lab“ eng zusammenarbeitet. Hinter dem Begriff verbirgt sich kein klassisches Accelerator-Programm für Gründer mit festgelegten Prozessen und Teilnahmekriterien, wie es etwa die Konkurrenten Bayer oder Merck anbieten. Bei Pfizer wünschte man sich dagegen eine flexible Plattform, die es ermöglicht, Kooperationen mit Startups individuell zu gestalten. Zeitrahmen, Inhalte, Ansprechpartner und Budgets für Kooperationsprojekte werden daher in dem Pharmakonzern nach Bedarf festgelegt. „Wir wollen gemeinsam DigitalHealth-Lösungen entwickeln, die eine sinnvolle Ergänzung zu unseren Medikamenten darstellen und dabei helfen, bessere Behandlungsergebnisse bei unseren Patienten zu erzielen“, sagt Peter Albiez, Deutschland-Chef von Pfizer. Außerdem soll die Kooperation mit Startups das Bewusstsein im eigenen Haus für digitale Themen und Innovationen stärken.
Zum Erfahrungsaustausch mit Gründern aus der Gesundheitswirtschaft hat Pfizer im Herbst 2014 in der Deutschlandzentrale am Potsdamer Platz eine „Startup-Sprechstunde“ eingerichtet. Die Veranstaltungsreihe findet vier bis fünf Mal im Jahr statt und bietet Gründern zum einen die Möglichkeit, ihre Ideen und Produkte in einem „Pitch“, also einer kurzen Präsentation, vorzustellen. Zum anderen erhalten die Jungunternehmer tiefere Einblicke ins Gesundheitswesen: Pfizer-Mitarbeiter halten Vorträge zu bestimmten Themen und informieren beispielsweise über die Zertifizierung von Medizinprodukten, den Umgang mit Big Data im Unternehmen oder regulatorische Aspekte der Arzneimittelzulassung.
Apps gegen Bulimie
„Wir haben das Know-how, das für Startups enorm wichtig ist“, sagt Peter Albiez. Die Mitarbeiter von Cortrium etwa können im Rahmen der Kooperation mit Pfizer auf die Expertise der Vertriebs- und Marketingabteilung des Unternehmens zurückgreifen. „Der Austausch hilft uns sehr, weil das deutsche Gesundheitssystem ausgesprochen komplex ist“, sagt Cortrium-Gründer Poulsen. Pfizer unterstütze die junge Firma unter anderem dabei, die regulatorischen Anforderungen für den Marktzugang in Deutschland zu erfüllen.
Die Berliner Jungunternehmerin Ekaterina Karabasheva hat ihre Firmenzentrale sogar mittlerweile in die Räumlichkeiten von Pfizer verlagert. 2013 gründete sie das Startup Jourvie, das eine App entwickelt hat, die Patienten therapiebegleitend im Umgang mit und bei der Dokumentation von Essstörungen wie Bulimie oder Magersucht unterstützt. Pfizer war von dem Konzept der jungen Frau so angetan, dass man sie sich als Projektmanagerin und Ansprechpartnerin für Startups ins Haus holte. „In den vergangenen zwei Jahren haben wir mehr als 200 Startups aus ganz Deutschland besucht oder eingeladen“, sagt Karabasheva über ihre „Schnittstelle zwischen Business- und Startup-Welt“.
In den kommenden Jahren will Pfizer die Zusammenarbeit mit Gründern weiter ausbauen. So möchte das Unternehmen einen Ideenwettbewerb für digitale Lösungen für bestimmte medizinische Indikationen ausloben. Darüber hinaus möchte sich Pfizer-Deutschland-Chef Albiez bei der Entwicklung neuer Produkte auch international umschauen. „Wir wollen ein Netzwerk von Innovations-Hubs in der Europäischen Union aufbauen“, sagt er. „Digitale Innovationen werden ein wesentliches Element unseres Geschäfts für die Zukunft sein“, sagt er. Sarah Kramer