Einkaufen mit dem Smartphone: Schambachs dritter Streich
Stephan Schambach will die größte Hürde im Internethandel beseitigen. 21 Felder müssen Kunden im Schnitt ausfüllen, wenn sie etwas bestellen. „Jeder hasst die Registrierung“, sagt der Chef der Softwarefirma Newstore. Dabei sei die mit den Smartphones gar nicht mehr nötig. Geschäftskunden davon zu überzeugen ist schwierig. Gerade hatte Schambach in seinem Berliner Büro ein Gespräch mit dem Vertreter einer großen Firma. Man brauche heutzutage weder Nutzernamen noch Passwort, erklärte ihm Schambach. Doch es hat eine halbe Stunde gedauert, bis er dem Manager klarmachen konnte, warum für dessen App keine Zugangsdaten nötig seien: Traditionelle Rechner wurden oft von mehreren Personen im Haushalt genutzt, die tragbaren Taschencomputer sind dagegen personalisierte Geräte. Sie kennen ihre Besitzer genau. Statt sich bei jedem einzelnen Shoppinganbieter zu identifizieren, reicht es, wenn die Zahlungsdaten im Smartphone gespeichert sind und über Dienste wie Paypal oder Apple Pay übermittelt werden.
Weltweit erste Software für Onlinehändler entwickelt
Noch steht sein Geschäftsmodell am Anfang. Doch schaut man sich Schambachs Vergangenheit an, stehen die Chancen nicht schlecht, dass sich auch diese Idee durchsetzen wird. Mit Intershop hat er 1994 die weltweit erste Software für Onlinehändler entwickelt. Mit seinem zweiten Unternehmen Demandware begann er zehn Jahre später als einer der Ersten, eine Shoppingsoftware aus der Cloud anzubieten, statt sie lokal zu installieren. Und nun folgt der dritte Streich des 47-Jährigen: Mit Newstore will er die Shoppingsoftware für das Zeitalter der Smartphones neu erfinden. „Er sieht die Zukunft“, sagt Larry Bohn über den Deutschen. Bohn ist Managing Director beim US-Wagniskapitalgeber General Catalyst und hat gemeinsam mit anderen Geldgebern im Juli 50 Millionen Dollar in Schambachs Firma gesteckt. Insgesamt hat Newstore schon 90 Millionen Dollar erhalten – eine enorme Summe für ein zwei Jahre altes Startup.
Der sogenannte Mobile Commerce wächst derzeit rasant. 39 Prozent der Deutschen kaufen mit dem Smartphone ein, wie Erhebungen des Digitalverbandes Bitkom und der Beratungsfirma PwC zeigen, doppelt so viele wie noch zwei Jahre zuvor. „Wir befinden uns an einem Wendepunkt“, sagt PwC-Experte Steve Barr, „Kunden benutzen Mobilgeräte nicht mehr nur, um nach Produkten zu suchen, sondern auch, um den Kauf abzuschließen.“ Investoren wie General Catalyst trauen es Schambach offenbar zu, ein Profiteur dieser Entwicklung zu sein.
Das mag alle überraschen, die beim Namen Schambach nur an Intershop und den „Neuen Markt“ denken. Das Unternehmen verkörperte den Irrsinn des damaligen Börsenbooms: Die Intershop-Aktien waren 1998 für 51,13 Euro ausgegeben worden und in zwei Jahren auf 1997 Euro gestiegen. Intershop war zwischenzeitlich mit elf Milliarden Euro mehr wert als viele Dax-Schwergewichte. Dann platzte die Blase.
Schambachs zweite Firma für 2,8 Milliarden verkauft
Schambach haftet das immer noch an. Dabei ist sein zweiter Coup mindestens genauso spektakulär und viel weniger bekannt. Im Vorjahr kaufte der US-Softwareriese Salesforce Schambachs Firma Demandware für 2,8 Milliarden Dollar. Das ist eine der höchsten Summen, die je für ein von Deutschen gegründetes Software-Unternehmen gezahlt wurde. An den Erfolg erinnert eine Kristallskulptur auf dem runden Konferenztisch in Schambachs Eckbüro. Dass der Triumph in seiner Heimat kaum wahrgenommen wurde, stört Schambach kaum: „Ob meine Person mit Aufmerksamkeit bedacht wird, ist mir, salopp gesagt, schnuppe.“
Mit Verkäufern im Laden chatten
Er sei Unternehmer aus Leidenschaft. Und so hatte er sich schon vor dem Verkauf von Demandware an sein nächstes Projekt gemacht. 2014 sei ihm klargeworden, dass E-Commerce irgendwann nur noch auf dem Smartphone stattfindet. „Das muss man aber von Grund auf neu entwickeln“, sagt Schambach. Denn er will mehr bieten als Onlineshopping auf kleinerem Display. Seine Idee ist eine Software, die alle vernetzt: Vom Kunden über den Verkäufer im Laden bis zum Paketboten. Insbesondere Filialen bezieht er intensiv mit ein. So sollen beispielsweise Kunden, die im Laden eine Hose gekauft haben, zu Hause den Verkäufer per Chat fragen können, ob es dazu einen passenden Gürtel gibt, und den eine Stunde später nach Hause geliefert bekommen. Nur durch solchen besseren Service könnten Marken in Zukunft gegen Amazon & Co. bestehen.
„Herkömmliche E-Commerce-Software ist eher eine Maschine zur Kataloganzeige und Bestellannahme“, sagt Schambach. Etwa 100 Entwickler arbeiten in einem gewaltigen Backsteingebäude an seiner Alternative. Das Büro passt zu den großen Ambitionen: Newstore hat das ehemalige RTL-Hauptstadtstudio am Schiffbauerdamm, schräg gegenüber vom Reichstag bezogen. Dazu kommen 40 Mitarbeiter in Boston, dem offiziellen Hauptquartier und Wohnsitz des gebürtigen Erfurters. „In Deutschland hätten wir nie diese Finanzierung bekommen“, sagt Schambach.
Adidas verkauft neuen Fußballschuh nur per App
Sein erster großer Kunde kommt trotzdem aus Deutschland. Adidas hat einen neuen Fußballschuh namens Glitch entwickelt, der aus einem Innenteil und einer Außenhülle besteht. Es gibt mehr als ein Dutzend verschiedene Designs, die sich kombinieren lassen. Jeden Monat gibt es neue Variationen. Verkauft wird der Schuh jedoch nur über eine eigene App. Um die zu nutzen, benötigen Kunden einen Zugangscode. Den gibt es von anderen Käufern – oder auf Ebay. 31.000 Fußballer haben sich bislang registriert. Ende 2016 startete das Projekt in London, seit einigen Wochen ist Glitch auch in Deutschland erhältlich. „In diesem Jahr kommt noch ein weiterer Markt hinzu, nächstes Jahr dann weitere“, sagt Marc Makowski, der das Projekt bei Adidas leitet. „Unsere Zielgruppe lebt mit dem Smartphone“, sagt Makowski. Mit dem Schuh will Adidas lernen, wie man sie dort direkt als Käufer erreicht.
Doch ein Problem gibt es: In Schambachs Vision müssen Verkäufer und Software im Laden die Kunden erkennen – nach hiesigem Datenschutz ist das schwierig. Schambach schimpft: „Das ist ein selbstgemachter Wettbewerbsnachteil.“