Zum Nachrüsten. Das rote „Copenhagen Wheel“ der Firma Superpedestrian, gegründet von Forschern des MIT in Boston. Foto: Promo

Das Rad neu erfinden

Die Debatte um Elektromobilität konzentriert sich aufs Auto. Dabei wird gerade das Fahrrad neu erfunden - jenseits vom Pedelec.

Die Ampel in Mitte schaltet wieder einmal in genau dem Moment auf Rot, als ich mit dem Fahrrad 50 Meter davor bin. Doch anstatt wieder mühsam anfahren zu müssen, als die Ampel endlich auf Grün springt, bin ich schon nach wenigen leichten Tritten wieder bei 25 km/h. Es ist ein ganz normales Fahrrad, auf dem ich sitze - bis auf das Hinterrad. Das ist eine Erfindung von Superpedestrian, einer jungen Firma, die einige MIT-Wissenschaftler in Boston gegründet haben. Und dieses Laufrad mit dem Namen Copenhagen Wheel ist wohl der bisher aufwendigste Angriff auf den städtischen Verkehr. Denn bis auf die große rote Narbe am Hinterrad, das in jedes beliebige Fahrrad eingebaut werden kann, unterscheidet es nichts mehr von einem normalen Fahrrad. Trotzdem erlaubt die Narbe es, bis zu 50 Kilometer weit mit Trittunterstützung zu fahren. Und während sich so manch gewöhnliches E-Bike durch seine ruckhafte Übersetzung den Fahrspaß doch arg dämpft, merkt man die Unterstützung hier kaum. Man ist einfach schneller.

„Unser System soll sich eher anfühlen, als ob man mit ihm tanzt und nicht nach den klobigen E-Bikes die es sonst so gibt“, sagt Assaf Biderman, am Rande einer Berliner Konferenz über die Zukunft der Städte. Er ist einer der zwei Gründer von Superpedestrian. Er trifft mögliche neue Mitarbeiter in Berlin. Denn die Firma überlegt, hier ihre Europazentrale aufzubauen. In den USA hat sie schon 70 Angestellte. „Wir sind keine Fahrradfirma“, stellt Biderman klar, „wir sind ein Robotik-Unternehmen“.

In der sieben Kilo schweren Nabe ist nicht nur ein Akku und ein Motor enthalten, sondern Dutzende Sensoren, die jederzeit die Kraftübertragung von Mensch zu Maschine messen und entsprechend den Motor steuern. Die integrierten Computer können berechnen, wie der Fahrer sich bewegt und wie der Motor ihn am besten unterstützt. Sie merken, wenn Teile kaputt sind oder das High-Tech-Rad zur Wartung muss. Sie erkennen auch, wann der Fahrer umfällt. Und können, weil das Rad mit dem Smartphone verbunden ist, gleich Hilfe rufen. „Die Digitalisierung von Fahrrädern ist überfällig“, sagt Assef Biderman, „bisher wurde sich hauptsächlich auf Autos konzentriert“.

E-Bikes haben die Autos schon lange überholt

Tatsächlich kann man sich fragen, warum so viel über autonome elektrische Autos gesprochen wird und so wenig über die digitale Zukunft der Fahrräder. Gibt es die nicht? „Ganz im Gegenteil“, sagt Heinrich Strößenreuther, Mitinitiator des Berliner Fahrradvolksentscheids. Er nennt gerne zwei einfache Zahlen: In Deutschland waren am 1. Januar 2017 laut Kraftfahrtbundesamt genau 34.022 Elektroautos in Deutschland zugelassen. Zum gleichen Zeitpunkt waren aber bereits über drei Millionen E-Bikes auf der Straße. Alleine 2016 wurden laut Zweirad-Industrie-Verband 605.000 davon in Deutschland verkauft. „Die Revolution der Elektromobilität passiert schon lange“, sagt Strößenreuther, „sie passiert nur eben bei den Fahrrädern, nicht bei den Autos.“

In Berlin beschäftigen sich zunehmend Firmen mit der Modernisierung der zwei Räder und arbeiten dabei an der Schnittstelle von Digitalisierung, Leichtbau und Elektromobilität. Im November trafen sie sich bei der Konferenz „Startup Cycling“ in Berlin, organisiert von Bikebrainpool, einem eigenen Thinktank für Fahrradtechnik. Kein Wunder eigentlich, schließlich tummeln sich wohl kaum sonst irgendwo in der westlichen Welt derzeit so viele Startups, Investoren und Fahrradfahrer auf einem Haufen wie in Berlin.

Eine Brennstoffzelle für Lastenräder

Schick statt klobig. Pedelecs müssen ncht hässlich sein. Das eflow Modell CM2, gestaltet von IDberlin. Foto: Promo

Einer davon ist Norbert Haller, ein Fahrrad-Afficionado, der mit seiner Firma IDberlin in einem ganz typischen Kreuzberger Hinterhof sitzt. An den Wänden hängen seltsame Fahrräder neben noch seltsameren Konzeptzeichnungen. Manche sehen noch aus wie relativ normale Drahtesel. Andere sind seltsame Zwitter aus Motorrad und Rennrad. Für die Stadt Mainz haben er und seine Designerkollegen gerade das neue Rad für deren Leihsystem mitentwickelt. Im Gegensatz zu den Leihrädern in Berlin von Deutscher Bahn, Lidl und Next-Bike ist es nicht abschreckend hässlich, sondern sieht tatsächlich gut aus. Jetzt entwickelt IDberlin mit den Mainzern eine E-Bike-Variante. Sie arbeiten aber genauso mit Brose, Continental, Komeda oder Kettler zusammen. Und mit dem Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) in Berlin entwickeln sie eine Brennstoffzelle für Lastenräder.

Norbert Haller, Geschäftsführer von IDberlin. Foto: J. Keimeyer

Haller sagt, dass es genau zwei Gründe gibt, warum die Zukunft von Pedelecs bisher unterschätzt wird. Erstens, wir stellen die falsche Frage: Was soll ich mit einem Elektrofahrrad? Er fragt: „Was soll ich in der Stadt noch mit einem Auto, wenn ich auch Elektrofahrrad fahren kann.“ Man komme unterm Strich schneller zur Arbeit, weil man keinen Parkplatz braucht, schwitze trotzdem nicht und treibe zudem noch Sport. Außerdem gebe es ein ganz einfaches Problem mit dem innerstädtischen Verkehr, dass sich ohne mehr Zweiräder nicht lösen lasse. Die meisten Autos fahren noch immer mit nur einer Person darin herum. Hinzu kommt die Gesundheitsbelastung. Immer mehr Stadtplaner sagen: Die Städter werden sich das nicht mehr lange gefallen lassen. Die Berliner Senatsverwaltung hat dazu von 2013 bis 2015 ein Forschungsprojekt durchgeführt, bei dem 320 Testpersonen für einige Monate ein E-Bike gestellt bekamen. Sie fanden heraus, dass daraufhin immer längere Pendlerstrecken zur Arbeit mit dem Fahrrad zurückgelegt wurden. Plötzlich fuhren einige sogar regelmäßig von Potsdam in die Berliner Innenstadt.

Aber es geht bei der Digitalisierung des Fahrrads nicht nur um den Elektroantrieb. Haller weist darauf hin, dass bisher Lichter, Schaltungen, Dämpfer und Fahrradcomputer alle voneinander getrennt sind, obwohl viele davon Batterien haben. Wie in der Zeit vor dem Smartphone, als Menschen noch Taschenlampen, Landkarten und Handys in der Handtasche hatten. „Diese Vernetzung der Einzelteile ermöglicht aber völlig neue Mehrwehrte“, erklärt Haller. Ein Fahrrad könnte sich auf unterschiedliche Wege und Fahrer automatisch einstellen. ABS gibt es auch schon.

Nie wieder ein gestohlenes Fahrrad

Eine der wichtigsten Firmen in diesem Bereich wurde ebenfalls in Berlin gegründet. Comodule will die Plattform der digitalen Fahrräder werden. Ihre jungen estnischen Gründer bauten eigentlich Elektro-Rennwagen. Dann entwickelten sie modulare Batterien. Inzwischen bauen sie für unterschiedlichste Marken vernetzte Fahrradsysteme. Ihr neuester Fahrradcomputer, der sich in den Rahmen integrieren lässt, wiegt unter 100 Gramm. „Nächstes Jahr werden wir mit einer Marke zusammen einen auf den Markt bringen, der über Mobilfunkverbindung seinen Besitzer benachrichtigt, wenn sich sein Fahrrad bewegt, ohne dass er darauf sitzt“, schwärmt Kristjan Maruste, einer der Gründer.

Daneben arbeiten sie gerade an vernetzten Versicherungsprodukten. „Denn wenn ein Fahrrad erst einmal einen zentralen Computer hat, kann ich es eindeutig identifizieren und verfolgen“, sagt Maruste. Damit wird es wesentlich besser und billiger versicherbar. „Und der Fahrradproduzent kann zum Versicherungsanbieter werden und neue Einnahmen generieren.“ Elektrische Fahrräder könnten sich sogar aus der Entfernung sperren lassen. Dann, so glaubt er, sind Leute auch zunehmend bereit, teurere Fahrräder zu kaufen. Bisher sei die Angst vor Diebstahl bei vielen einfach zu hoch.

Muss man ein Fahrrad besitzen, um es zu fahren?

Apropos Diebstahl und Besitz. Der Holländer Gert-Jan van Wijk ist nach Berlin gekommen, den Fahrradbesitz zu digitalisieren. Sein Startup listnride bietet an, was es für Autos und Wohnungen schon lange gibt: Man registriert sein Fahrrad und andere können es für einige Stunden oder Tage gegen eine Gebühr leihen. Umgekehrt kann man nach Berlin, München, Wien und immer mehr neue Städte fahren und sich für die Dauer des Urlaubs oder der Geschäftsreise ein schickes Rad leihen. 1500 Fahrräder sind bereits auf der Plattform. Die stammen nicht nur von Privatpersonen. Auch Marken und Händler können hier Fahrräder einstellen. „Den Händlern erlaubt das einen Zuverdienst, den Marken erlaubt es, dass potentielle Käufer ihre Räder Probe fahren können“, sagt van Wijk. Lastenräder, Mountainbikes und Rennräder seien besonders gefragt.

Als nächstes soll das Angebot auf typische Regionen für Fahrradurlaub ausgeweitet werden: Bodensee, Ostsee, Mallorca. Überall jederzeit an ein vernetztes Fahrrad zu kommen wird also in Zukunft kein Problem mehr sein. Sie zu klauen wird auch schwer. Bleibt nur noch das Problem mit dem Wetter. Norbert Haller sagt: „Warum soll in Städten künftig nicht eine Fahrbahn auf den Straßen überdacht sein für Leichtmobilität?“ Gert-Jan van Wijk aus Amsterdam entgegnet: „Das ist ein deutsches Phänomen. In Amsterdam fahren schon lange alle auch bei schlechtem Wetter Fahrrad.“