Wenig Durchsicht. Günther Oettinger poltert oft gegen die Netzgemeinde – obwohl er eigentlich für sie arbeiten sollte. Foto: Patrick Seeger/dpa

Günther bei den Taliban

Am Montag spricht Günther Oettinger, EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, auf der re:publica in Berlin. Nicht alle freut das.

Um mit Lob zu beginnen: Das ist schon mutig. Ein bisschen so, als traute sich Ronald McDonald aufs Jahrestreffen der Slow-Food-Bewegung. Dabei klingt es, rein formal, zunächst gar nicht abwegig, dass der amtierende EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft an diesem Montag die Media Convention besucht, die parallel zur re:publica, Deutschlands wichtigster Digitalkonferenz. Problem ist halt: Der Mann heißt Günther Oettinger.

Eine Melange aus Unbelehrbarkeit und unfreiwilliger Komik

Dass der Ex-Landesvater Baden-Württembergs vor anderthalb Jahren nicht aufgrund seiner Kenntnisse oder digitaler Interessen, sondern dank des Brüsseler Personalgeschachers in sein Amt kam, wäre verzeihlich, vor allem ja nichts Neues. Ärgerlich ist, was er seitdem tut – und was nicht.

Sein Amtsstil lässt sich am besten als Melange aus Unbelehrbarkeit, unfreiwilliger Komik und scharfer Attacken gegen – das Wort benutzt er gern – „die Netzgemeinde“ zusammenfassen. Ein Verbrechen, bei dem sich ein US-Amerikaner in die passwortgeschützte Cloud von Prominenten hackte und später deren Privatfotos veröffentlichte, kommentierte Oettinger mit dem Hinweis, die Betroffenen seien doch „blöd“, wenn sie Nacktfotos von sich machten und „ins Netz stellen“. Solche Leute könnten nicht erwarten, dass die Politik sie schütze.

Netzneutralität würde zu Sozialismus führen

Profiliert hat er sich als Gegner der Netzneutralität, also des Grundsatzes, dass im Internet alle Daten gleich schnell transportiert werden. Denn Netzneutralität bedeutet, dass sich auch mit Geld keine bevorzugte Behandlung sichern lässt (die für andere Nutzer Verzögerungen, im schlimmsten Fall Datenverlust bedeuten würde). Nun gibt es gute Gründe, das Thema differenziert zu betrachten, auch offen zu diskutieren. Doch Günther Oettingers Sache ist das nicht. Befürworter einer Netzneutralität vergleicht er mit den Taliban. Gebe man denen nach, drohe die Einführung des Sozialismus.

Mit seiner Haltung steht er im Widerspruch zum EU-Parlament, das sich 2014 für Netzneutralität ausgesprochen hatte. Er fordert das Parlament nun zum Einlenken auf. Einiges Aufsehen erregte Oettinger, als er sich einen Twitter-Account einrichtete und kryptische Botschaften versendete („. Of course is Fall of Berlin wall!“). Ein Wiener Künstlerkollektiv verlieh ihm den „Preis für unqualifizierte Statements gegen das Informationszeitalter“. Der „Guardian“ widmete ihm eigens einen „beginner’s guide to the internet“. Weitestgehend untergegangen ist auch die Statistik, wonach sich Oettinger in sechs Monaten nur zwei Mal mit Lobbyisten von Nichtregierungsorganisationen traf, jedoch 44 Mal mit solchen von Konzernen oder Wirtschaftsverbänden.

Die Netzgemeinde dringt kaum in die Mitte der Gesellschaft vor

Der Digitalkommissar Günther Oettinger ist die fleischgewordene Demütigung aller netzpolitisch Interessierten. Seine Ernennung signalisiert: Wir können tun, was wir wollen, und ihr seid machtlos in eurer Blase.

Oettinger hat in seinem Berufsleben oft falsch gelegen. Hans Filbinger nannte er einen „Gegner des NS-Regimes“. Es bedurfte damals eines massiven öffentlichen Drucks, ehe sich Oettinger von seinen eigenen Worten distanzierte. Das Problem der von ihm belächelten „Netzgemeinde“ dürfte sein, dass sie tatsächlich keinen Druck entfalten kann, der bis in die Mitte der Gesellschaft wirkt. Die Frage der Netzneutralität gilt dort als eine akademische. Bei seinem Auftritt am Montag in Berlin will Günther Oettinger auch über Netzneutralität sprechen. Und anschließend Fragen beantworten. Das Panel findet um 15.15 Uhr auf Bühne 7 der Media Convention statt. Der Veranstalter hat übrigens angekündigt, dass die Diskussion auf Deutsch stattfindet. Keine Ahnung wieso.

Mächtig ja – aber nicht des Englischen.