Von sexuell aktiven Päpsten und teuflischen Clowns
Zeit für ein Bekenntnis: Ich liebe Listen aller Art. Sie geben Überblick, bringen Ordnung in Chaos, zeigen Zusammenhänge auf. Ohne Listen wäre die Welt etwas weniger schön.
Die herrlichsten mir bekannten Listen finden sich auf Wikipedia, also der englischsprachigen Seite. Die deutsche hinkt da leider noch hinterher. Man sollte doch meinen, wenn irgendwer Listen erstellen kann, dann die Deutschen. Aber nee.
17 Jahre leben auf dem Flughafen
Da ist zum Beispiel die Auflistung sämtlicher Menschen, die über einen längeren Zeitraum in einem Flughafen gelebt haben. Entweder weil ihnen das Land die Einreise verweigerte oder weil Geld für den Weiterflug fehlte. Spitzenreiter ist der Iraner Mehran Karimi Nasseri, der fast 18 Jahre in Paris festsaß. Bald könnte er allerdings vom Brasilianer Denis Luiz de Souza abgelöst werden. Der lebt seit der Jahrtausendwende in einem Flughafen bei São Paulo und macht keine Anstalten, sich wohnlich zu verändern.
Eine andere Liste informiert über alle sexuell aktiven Päpste seit dem sechsten Jahrhundert, eine weitere führt Berge auf, die im Profil betrachtet wie weibliche Brüste aussehen. Es existiert eine Sammlung mit allen fiktiven Planeten, die jemals in der Fernsehserie „Star Trek“ erwähnt wurden. Und eine sämtlicher Spitznamen, mit denen der frühere US-Präsident George W. Bush andere Staatsoberhäupter bedachte. Wladimir Putin nannte er „Straußenbein“.
Unfälle in Disney-Freizeitparks
Eine Liste sammelt Zahlenkombinationen, die sich in Wörter verwandeln, sobald man sie in den Taschenrechner eingibt und das Gerät auf den Kopf stellt. 7353 wird zu ESEL, klar. Dass aber 3515380 auf dem Kopf OBESI SE ergibt, was Serbisch ist für „Häng dich auf“, das wussten Sie jetzt nicht, oder?
Listen strotzen vor Erkenntnisgewinn. Wer die Sammlung sämtlicher Unfälle, die sich jemals in Disney-Freizeitparks zutrugen, durchgeht, wird die Sicherheitshinweise an den Eingängen der Fahrgeschäfte künftig sehr ernst nehmen.
Israelische Spione im Tierkörper?
Eine meiner absoluten Lieblingslisten zählt Tiere auf, die von arabischen Staaten getötet wurden, weil man sie irrtümlich für israelische Spione hielt. Es ist eine sehr lange Liste. Sie enthält Geier, Falken, Singvögel, Schweine, Hyänen, Steinböcke, Antilopen, Haie, Delfine und Ratten. Viele wurden erschossen, weil sie zu Forschungszwecken Metallringe oder GPS-Transponder trugen - und die Sicherheitskräfte anderer Länder dachten: Na klar, das muss Ausspähtechnik sein. Hier zeigt sich die ganze Wirkmacht des Listenwesens. Erführe man bloß vom Schicksal eines einzelnen Tieres, glaubte man an einen kuriosen Einzelfall. Vielleicht war es die Fehlentscheidung eines übermotivierten Soldaten? Erst in der Zusammenstellung wird sichtbar, wie systematisch und wahnhaft der Antisemitismus in Teilen der arabischen Welt gedeiht. Ebenso aufschlussreich: die Liste aller bösen Gerüchte, die über McDonald’s verbreitet wurden. Die Liste aller Clowns, vor denen sich Menschen fürchteten. Die Liste aller wissenschaftlichen Fragen, auf die es keine Antwort gibt.
Keine weiteren Morde
Zum Wesen einer Liste gehört, dass sie tendenziell unvollständig und erweiterbar ist. Wikipedia ruft dazu auf, daran mitzuwirken. Bei der Liste der schlimmsten Serienkiller, geordnet nach der Anzahl ihrer Opfer, findet sich sicherheitshalber ein Hinweis: Eine Verlängerung der Liste sei durchaus erwünscht, aber bitte nicht durch das Begehen weiterer Morde.
Fortgeschrittenen bietet Wikipedia Verzeichnisse, die Listen thematisch zusammenfassen. Und dann ein Dokument, das alle diese Meta-Listen erfasst. Es ist die „List of Lists of Lists“. Wer sie aufruft, wird verrückt oder sehr klug.
Diese Kolumne ist in gedruckter Form im Sonntags-Magazin des Tagesspiegels erschienen. Sie können ihm auf Twitter unter @TSPSonntag folgen.