Sind Helmut Kohl und das Privatfernsehen Schuld am langsamen Internet?
Die Bundesregierung schlägt Alarm: Deutschland braucht dringend schnellere Internetleitungen. Die dafür nötigen Kabel im Boden sind inzwischen so wichtig wie Gas-, Wasser- und Stromversorgung, schreibt die Regierung in einer Broschüre. Deshalb gebe es jetzt ein Paket aus 15 Maßnahmen, um endlich den Breitbandausbau „massiv voranzutreiben“. Das sei existenziell fürs Wirtschaftswachstum und allgemein für die „Zukunft Deutschlands“.
Scham und Kupfer
Klingt gut? Die Broschüre stammt aus dem Februar 2009. Vom Server des Wirtschaftsministeriums ist sie inzwischen gelöscht, aus Versehen oder aus Scham. Denn das Problem der langsamen Leitungen ist immer noch akut. Derzeit gelangen nur 2,1 Prozent der Deutschen, die überhaupt Breitbandanschluss haben, per Glasfaserkabel ins Internet. Zum Vergleich: In Spanien sind es 40, in Finnland 43, in Schweden 58 Prozent. Ankündigungen, jetzt aber wirklich mal Ernst zu machen mit dem Breitbandausbau, gab es seit 2009 einige. Runde Tische wurden beschlossen, Kompetenzen neu verteilt, Hilfsprogramme initiiert. Das Ergebnis blieb dürftig.
Von den 689 Millionen Euro, die voriges Jahr im Bundeshaushalt als Fördermittel zum Breitbandausbau eingestellt waren, wurden am Ende nur 22 Millionen ausgezahlt. Auf der Suche nach einem Schuldigen zeigen die meisten auf den scheidenden Digitalminister Alexander Dobrindt. Der Rechnungshof wirft ihm chaotische Amtsführung vor: „Wesentliche Grundsätze eines geordneten Verwaltungshandelns wurden nicht beachtet.“ Netzexperten ärgert besonders, dass Dobrindt bis zum Schluss glaubte, man könne statt dem Verlegen von Glasfaserkabeln auch einfach das bestehende Kupferkabelnetz ausbessern.
„Recht auf schnelles Internet“
Ob es in der nächsten Legislaturperiode besser läuft? Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass nun endlich ein „lückenloses Breitbandnetz“ entstehen soll, die Deutschen hätten künftig ein „Recht auf schnelles Internet“. Allerdings wollten Union und SPD diesmal wohl sicherstellen, dass sie am Ende der Amtszeit nicht schon wieder als Versager dastehen. Deshalb wählten sie einen cleveren Zeitrahmen: Das „lückenlose Breitbandnetz“ soll erst 2025 garantiert sein, lange nach Ende der Legislaturperiode.
Neue Zuständige wird die Staatsministerin im Kanzleramt, Dorothee Bär. Die hat, anders als Generationen ihrer Vorgänger, tatsächlich Ahnung von Netzpolitik. Ihr künftiger Chef, der designierte Kanzleramtsminister Helge Braun, scheint zudem die Broschüre von 2009 zu kennen. Er hat bereits verkündet, schnelles Internet sei inzwischen genauso wichtig „wie die Versorgung mit Gas, Wasser oder Strom“.
Kupfer gegen Links
Vermutlich haben wir den ganzen Schlamassel sowieso Helmut Kohl zu verdanken. Kürzlich wurde bekannt, dass dessen Amtsvorgänger Helmut Schmidt schon im Frühjahr 1981 einen Plan beschlossen hatte, die Bundesrepublik flächendeckend mit Glasfaserkabel auszurüsten. Als Kohl an die Macht kam, stoppte er das Programm und entschied, stattdessen lieber massiv ins Kabelnetz fürs Fernsehen zu investieren. Er fand, das öffentlich-rechtliche Fernsehen habe eine linke Schlagseite. Also wollte er zumindest ein Gegengewicht schaffen - in Form des Privatfernsehens, das wiederum auf ein gut ausgebautes Kabelnetz angewiesen war. Deshalb ließ Helmut Kohl deutschlandweit Bürgersteige aufreißen und Kupferkabel verlegen. Die waren damals deutlich billiger als Glasfaser.
Diese Kolumne ist in gedruckter Form im Sonntags-Magazin des Tagesspiegels erschienen. Sie können ihm auf Twitter unter @TSPSonntag folgen.