Ihr Mut zum Risiko
Als Architekt hat er Häuser entworfen, beobachtet, wie sie langsam entstehen. Dann erlebte er in Homs, wie um ihn herum das Gegenteil davon passierte: Verwüstung. Zerstörung. Eine Stadt in Trümmern. [G]eflohen vor dem Krieg](http://offenesee.tagesspiegel.de/) lebt Abdulhadi Soufan heute in Berlin. Dort versucht er als Selbstständiger zu arbeiten – und seine Heimatstadt aus sicherer Ferne wieder aufzubauen.
Um das zu schaffen, nimmt Soufan an dem Pilotprojekt Ideas in Motion teil, dem ersten Gründerprogramm für Geflüchtete in Deutschland, die die Organisation Singa selbst lieber Newcomer nennt. Ziel ist es, dass acht Unternehmerinnen und Unternehmer ihre Idee bis Mitte Juli zum marktreifen Geschäftsmodell entwickeln. Bei Soufan wäre das eine digitale Plattform, mit der er Besitzer von einstigen Wohnhäusern und Geschäften in Homs mit Architekten, Baufirmen und Investoren verbindet. Für die besseren Tage, an die er glaubt.
In den vergangenen drei Monaten hat die Gruppe ihre Konzepte präsentiert, auf Marktrelevanz und Erfolgswahrscheinlichkeit hin überprüft und verbessert. Sie haben Prototypen entwickelt, potenzielle Kunden nach ihrer Meinung befragt. Unterstützt wurden sie dabei von einem Team des Service Innovation Labs, das Startups genauso wie Dax-Unternehmen dabei hilft, aus Ideen sinnvolle Dienstleistungen und Produkte zu machen. „Die Workshops waren ziemlich nah an dem, was wir immer tun“, sagt David Schmidt. Es ging nur etwas stärker um die finanziellen und rechtlichen Aspekte bei einer Unternehmensgründung als sonst. Immerhin sind diese Aspekte denen, die aus einem anderen Land kommen, noch fremder als Absolventen einer deutschen Uni.
In anderen Ländern ist Gründen verbreiteter
Viele der Geflüchteten kommen aus Kulturen, in denen es verbreiteter ist, ein eigenes Geschäft zu führen. Während die Quote an Selbstständigen in Deutschland bei rund elf Prozent liegt, beträgt sie beispielsweise in Syrien 34 Prozent. Die Landwirtschaft und der Handel sind dort wichtige Branchen, nicht so sehr die Produktion. „Die Menschen bringen also viel Erfahrung mit hierher“, erzählt Luisa Seiler von Singa. „Und weil sie nicht so viel zu verlieren haben, haben sie auch nicht so viel Angst, etwas zu riskieren.“
Am Beispiel von Maher Ismail und Hosheng Ibrahim sieht man noch etwas, sagt Seiler: Sie beobachten die neue, noch fremde Umgebung mit einem Blick von außen, erkennen Lücken, die Deutsche gar nicht wahrnehmen würden. Als die beiden Syrer nach Deutschland kamen, waren sie völlig überfordert, zu welchen Ämtern sie gehen mussten, wie sie deutsch lernen, studieren, arbeiten könnten. So viele Formulare, Bewilligungen, Einverständniserklärungen, die sie nicht verstanden. So viele Behördengänge. Deswegen entwickeln sie gerade die Plattform „Dalili“, die Geflüchteten eine Übersicht über all das bieten soll. „Ich selbst habe zehn Monate verloren, weil mir Informationen fehlten, die ich brauchte“, sagt Ismail (27) an einem Nachmittag im Juni.
»In Berlin kommt man mit gutem Englisch zurecht«
Das „unternehmerische Potenzial“ der Flüchtlinge hat auch Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) erkannt, weswegen sie das neue Projekt „Startup Your Future“ der Wirtschaftsjunioren Deutschland fördert. Dabei sollen Flüchtlinge in der Region Berlin-Brandenburg durch erfahrene Unternehmer auf dem Weg in die Selbstständigkeit begleitet werden. Doch zunächst müssen sich Interessenten bewerben, mit genügend Berufserfahrungen, kaufmännischem Wissen und einer Gründerpersönlichkeit. In einem Leitfaden betont das Ministerium außerdem die Wichtigkeit der deutschen Sprache. „Wie sonst lässt sich feststellen, was die Kunden möchten? Wie soll das Konzept gegenüber der Bank erklärt werden?“ steht darin geschrieben. Luisa Seiler sieht das gelassener: „In Berlin kommt man auch mit gutem Englisch zurecht.“
Die Industrie- und Handelskammer Berlin lädt Flüchtlinge seit Anfang 2016 zu halbtägigen Startup-Classes ein. Bislang fand die Veranstaltung zehn Mal statt, mit 190 Personen. „Die Klasse soll dazu dienen, den Geflüchteten Hilfestellung und Orientierung auf dem Weg in die Selbstständigkeit in Berlin zu geben“, sagt ein Sprecher. Die Zwischenbilanz sei positiv. „Uns sind sechs erfolgreiche Gründungen durch ehemalige Teilnehmerinnen und Teilnehmer bekannt.“
Eine Anstellung zu finden ist schwer
Bei jeder Startup-Class wurden die Teilnehmer gebeten, einen Fragebogen in arabischer Sprache auszufüllen, mit Fragen zu ihrer Person, der Art ihrer bisherigen, aktuellen und angestrebten Beschäftigung. Drei von vier Teilnehmern waren demnach bereits in ihrem Herkunftsland unternehmerisch tätig. Neben dem Wunsch, wie früher als Unternehmer zu arbeiten, ist es für manche eine Notwendigkeit, weil es zu schwer ist, eine passende Anstellung zu finden. Die meisten Teilnehmer hatten zum Zeitpunkt der Befragung keinen Job.
Rund 180.000 Geflüchtete sind arbeitslos gemeldet. Als arbeitsuchend sind gut 484.000 Flüchtlinge registriert. Sie nehmen nach wie vor an Integrationskursen oder Fördermaßnahmen teil und sind deswegen nicht Teil der Statistik. Wie viele sich bereits selbstständig gemacht haben, kann die Arbeitsagentur nicht sagen.
Welche Schwierigkeiten die Geflüchteten in der IHK–Umfrage beschreiben, deckt sich mit dem, was Soufan, Ismail und Ibrahim erzählen. Oder Kussay Chi Chakly, der Modedesigner, der eines seiner bunt bedruckten T-Shirts trägt. Beim Jobcenter sprach er mit seiner Vermittlerin über die Idee, sich selbstständig zu machen. Weil er ein anerkannter Flüchtling sei, gebe es keine rechtlichen Einwände, und er könnte sogar Fördergelder beantragen. Was er tat. „Musste eine Menge Papier ausfüllen“ sagt er auf Englisch. „Und jeden Schritt im Business-Plan erklären.“ Dann wartete der 39-Jährige mehrere Monate bis ihm gesagt wurde, er könnte erst dann den Zuschuss bekommen, wenn er tatsächlich als Selbstständiger arbeite. Nur brauchte er dafür ja erstmal T-Shirts und dafür wiederum Material. Deswegen lieh er sich Geld von seiner Schwester.
Für Einwanderer ist Risikokapital fast unerreichbar
Liest man den Bericht der IHK ist seine Geschichte keine Ausnahme: Die meisten seien ungeduldig und wollten innerhalb eines Jahres gründen. Tatsächlich würde der Schritt in die Selbstständigkeit aber durchschnittlich erst nach elf Jahren gelingen. Bei den Befragten der IHK-Klassen gab es ebenso einen großen Informationsbedarf über staatliche Hilfen wie etwa das Einstiegsgeld, aber auch auch über die Auswirkungen eines möglichen Unternehmensgewinns auf die Höhe der Sozialleistungen. „Dies deutet an, dass den Jobcentern bei der Integration in den Arbeitsmarkt durch Selbstständigkeit eine wichtige Rolle zukommt“, heißt es.
Auch auf anderen Wegen bleibt die Finanzierung für Geflüchtete problematisch. Risikokapital wird in Deutschland wie auch im Rest Europas deutlich zurückhaltender vergeben als etwa in den USA. Für Einwanderer ist es fast unerreichbar. „Der zunächst befristete Aufenthalt von in der Regel drei Jahren macht es schwierig“, sagt Luisa Seiler. „Private Investoren und Banken wollen eben kein Risiko eingehen.“
Ein weiteres Hindernis sind die fehlenden Kenntnisse des deutschen Marktes, des Steuersystems, der Kundenstruktur. Es gibt mitunter einen stärkeren Wettbewerb und die Menschen haben womöglich einen anderen Geschmack. Das hat auch Kussay Chi Chakly erlebt. Eigentlich hatte er Haute Couture entworfen. Schicke teure Abendgarderobe. „In Berlin habe ich dann gesehen: Das trägt hier niemand.“ Deswegen entwirft er jetzt lässige Streetwear; wartet auf Käufer.
In einem Jahr möchte er an Berlinern vorbei gehen, die seine Shirts tragen. Und Abdulhadi Soufan, der möchte 200 Menschen in Homs geholfen haben. Indem er ihnen wieder ein Zuhause schafft.