Was kommt nach den Keksen?
In der Torstraße in Mitte, auch Silicon Allee genannt, ist die Hipster-Dichte so hoch wie nirgendwo sonst in der Stadt, die Dichte der Szene-Lokale ebenso. Seit Anfang Juli gibt es, in unmittelbarer Nähe zum St. Oberholz, ein weiteres trendiges Café, das Hermann’s.
Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Mit dem Hermann’s kommt auch ein weiterer Lebensmittelkonzern in die Stadt, um Auge und Ohr am Puls der Zeit zu haben – und von den Kreativen zu profitieren. Denn das Hermann’s ist eine Tochtergesellschaft des Keksherstellers Bahlsen. Geführt wird es von Verena Bahlsen, dem Spross des Chefs der Bahlsen-Gruppe, und Laura Jaspers, die zuvor ebenfalls im Hannoveraner Konzern gearbeitet hat. „Wir sind nach Berlin gegangen, weil hier die größten internationalen Einflüsse spürbar sind“, sagt Jaspers. „Es ist der Ort in Deutschland, an dem das Explorative passiert.“
Daten & Fruchtgummi
Bahlsen ist eines von mehreren Unternehmen, das sich in Berlin für die Zukunft rüsten will. Auch andere Größen der Nahrungsmittelbranche haben die Stadt als Experimentierfeld für sich entdeckt. Der Fruchtgummi-Hersteller Katjes aus dem rheinischen Emmerich hat im vergangenen Herbst Katjesgreenfood gegründet, und der Lebensmittelproduzent Dr. Oetker ist seit einigen Monaten mit einem Tochterunternehmen in Berlin vertreten. Das Ziel von Oetker Digital ist, „die Unternehmen der Oetker-Gruppe aktiv auf ihrem Weg in die digitale Zukunft zu unterstützen, die Marken zu stärken sowie neue zukunftsfähige Geschäftsmodelle zu identifizieren und zu entwickeln“, wie eine Oetker-Sprecherin sagt. Man wolle eine Infrastruktur schaffen, „um Daten und Informationen noch besser verarbeiten zu können und dem Kunden genau das zu bieten, was er sich wünscht“. Natürlich lässt sich das am besten von der Hauptstadt aus in Gang bringen. „Oetker Digital ist in Berlin, weil hier die Startup-Szene sitzt“, sagt sie.
Während Katjes und Oetker jeweils nur ein mit wenigen Mitarbeitern besetztes Büro in der Stadt unterhalten, öffnet sich Bahlsen mit dem Café in der Torstraße den Konsumenten direkter. Wer ins Hermann’s spaziert, einfach, weil er neugierig ist oder Hunger verspürt, erfährt erst einmal nichts von der Verbindung zu Bahlsen. „Wir verschweigen den Zusammenhang nicht“, sagt Laura Jaspers. „Wir schreiben aber auch nicht groß Bahlsen über die Eingangstür.“
Man demonstriert Eigenständigkeit.
Blumenkohl-Heidelbeer-Pizza
Und verfolgt große Ziele. Dabei könnte das Hermann’s nichts weiter als das x-te hippe Café/Restaurant in Mitte sein. Die Einrichtung ist hell und durchgestylt, die Fenster sind groß, der Fußboden aus Holz, die Möbel und Lampen sind schick. Nicht nur der Wintergarten ist ein Blickfang, auch die offene Küche ist ein Hingucker. Wer nichts Besseres zu tun hat, schaut den Köchen zu, wie sie an den blitzblank geputzten Edelstahl-Herden Gemüse dünsten. Dass die Speisen und Getränke an der Tafel hinterm Tresen in englischer Sprache verfasst sind, ist in Berlin auch nichts Besonderes. Das typische Mitte-Klientel weiß mit „seasonal soups“ in der Regel mehr anzufangen als mit Eintöpfen.
Doch spätestens beim Studieren der Speisekarte wird klar, dass das Hermann’s ein Ort sein will, an dem laut Jaspers „völlig neu über unser Nahrungssystem und die Lebensmittelproduktion nachgedacht wird“. Deshalb kommt nur auf den (hölzernen) Teller, was erstens ausgefallen ist. „Wir kombinieren ungewöhnliche Zutaten“, sagt Jaspers. Am Wochenende steht etwa eine Blumenkohl-Heidelbeer-Pizza auf der Karte. Zweitens sind die Sachen laut Jaspers ausnahmslos gesund. Die Köche verzichten zum Beispiel komplett auf raffinierten Zucker; in dem Mehl, das sie verwenden, stecken Einkorn oder Kamut – sie gelten als die ältesten Getreidearten.
Stellt Bahlsen irgendwann Kekse ohne Zucker her?
Aber das Anbieten besonderer Gerichte ist nur ein Teil der Hermann’s- Philosophie. Entscheidend ist der Austausch darüber, wie „die Zukunft schmecken“ wird. Das geschieht im Rahmen der ab Ende des Monats regelmäßig stattfindenden „Food Tech Dinner Partys“ und „Flour Brunches“: Zu beiden Veranstaltungen laden die Gründerinnen Experten aus Industrie und Handel, vor allem aber Innovatoren aus der Branche ein. Gemeinsam mit interessierten Gästen diskutieren sie über die nötigen Schritte, um das Essen zu revolutionieren.
Ganz wichtig ist den Macherinnen dabei der unvoreingenommene Dialog. „Wir sehen es als Reise, bei der man nicht weiß, wohin es geht“, sagt Jaspers. Einige konkrete Vorstellungen vom Ziel hat die Chefin – auf Nachfrage – dann allerdings doch: Die Muttergesellschaft könnte ihre Kekse und Kuchen eines Tages vielleicht komplett ohne Industriezucker herstellen. Damit ist bestätigt, was sowieso klar und unternehmerisch sinnvoll ist: Das Familienunternehmen mit fast 130-jähriger Tradition stellt sich den Herausforderungen der Zukunft, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Und dabei hilft die Nachfahrin des Firmengründers Hermann Bahlsen mit ihrem innovativen Ort und der Vernetzung mit Vordenkern.
Vorausdenken und vorausschauend handeln – das wollen auch die anderen Firmen. Dr. Oetker äußert sich zwar noch nicht umfassend zu seinen Plänen, die er mit Oetker Digital verfolgt. Fest steht aber, dass die Berliner in Startups investieren und selbst neue Firmen gründen wollen. Das erste, vor wenigen Wochen gestartete Projekt, nennt sich „Kuchenfreude“, eine Online-Vermittlungsplattform zwischen Konditoren und Kunden zum Bestellen von Kuchen und Torten. Noch befindet sich die Plattform laut der Pressesprecherin in einer frühen Testphase. Die „Vision“ sei, „die bundesweit führende Online-Plattform zum Bestellen von Kuchen und Torten“ zu werden.
Hanf-Limo und Kaffeefrüchte
Sich an jungen Unternehmen zu beteiligen, um die neuesten Bewegungen im Markt zu erkennen und aus den Trends Kapital zu schlagen, ist auch die Strategie von Katjes. Zwar reden die Katjesgreenfood-Chefs ebenso wie die Hermann’s-Betreiber lieber von der Food-Revolution. „Wir glauben an die Food-Revolution“, sagt die Vorsitzende der Geschäftsführung, Manon Littek. Vor allem aber geht es auch hier darum, sich in einem wandelnden Markt zu positionieren: Als das Familienunternehmen vor einigen Jahren dazu überging, bei der Herstellung seiner Fruchtgummis auf tierische Gelatine zu verzichten, „haben wir gemerkt, wie groß die Nachfrage nach vegetarischer Ernährung ist“, sagt Katjesgreenfood-Geschäftsführer Volker Weinlein. „Es gibt diese Bewegung, und von der wollen wir profitieren.“ Aus diesem Grund hat sich Katjesgreenfood zum Beispiel an dem Berliner Händler für vegane Lebensmittel, Veganz, beteiligt, nach eigenen Angaben Marktführer in diesem Segment. Es folgten Beteiligungen am Münchner Hanf-Limonade-Hersteller Hemptastic und an Caté, einem Produzenten von Erfrischungsgetränken aus der Kaffeefrucht.
Die jüngste, gerade erst erworbene Beteiligung ist die an Haferkater. Das Berliner Startup bietet in seinen Läden Porridge zum Mitnehmen an. Das traditionell schottische Gericht ist laut Weinlein gesünder als typisches Fast-Food. Es ist übrigens genau dasselbe wie Haferbrei. Klingt aber hipper. Und liegt damit voll im Trend.