Füttern verboten?
Udo Schloemer kommt sich manchmal vor wie der Zoodirektor von Berlin. Regelmäßig wird der Gründer und Chef der Start-up-Schmiede Factory mit Sitz in Mitte von Vorstandsvorsitzenden und anderen Führungskräften großer Unternehmen gefragt, ob er mit ihnen nicht eine Tour machen kann. Die hippe Gründerszene der Hauptstadt wollen sie erkunden, die coolen Kids der jungen Tech-Unternehmen sehen – als wenn es sich um exotische Tiere handeln würde. Das seien keine Begegnungen auf Augenhöhe, „wir leiden in Deutschland an Manager-Arroganz“, empört sich Schloemer.
Für ihn einer der Gründe, warum Deutschland im Vergleich zum Silicon Valley noch immer hinterherhinkt bei der Digitalisierung. Statt zu fragen, was die Big Player für die jungen Unternehmen tun könnten, würde es den Führungskräften bei den Touren oft nur darum gehen, was die jungen Start-ups für sie tun können. „Dabei geht es doch darum, gemeinsam neue Dinge zu schaffen“, sagt Schloemer.
Hoffnung für die zweite Runde
Wie dieser Prozess besser gestaltet werden kann, darüber diskutierte Schloemer vergangene Woche in der Factory mit Matthias Machnig, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, sowie Valentin Stalf, Gründer des Berliner Fintechs N26, Max Viessmann, Digitalchef des Heiz-, Industrie- und Kühlsystemherstellers Viessmann und Ulrich Schäfer, Autor des Buchs „Deutschland digital“. Die erste Runde im digitalen Wettstreit hat Deutschland demnach verloren, dennoch bestehe Hoffnung auf eine zweite Chance. Was aber muss passieren, damit auch diese Runde nicht wieder verloren geht? Beispielsweise müssten sich deutsche Industrieunternehmen dringend besser mit Start-ups austauschen, damit der Know-how-Transfer gelingt – und zwar in beide Richtungen. Doch daran hapert es vor allem einseitig, zeigt der „Industrie-Innovationsindex 2016“, der Schloemers Beobachtungen bestätigt. 500 Führungskräfte und Berufseinsteiger wurden dafür vom Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag des Spezialchemiekonzerns Altana für die Studie befragt, die dem Tagesspiegel exklusiv vorliegt. Nur elf Prozent der Industrieunternehmen beteiligten sich demnach an den jungen Tech-Firmen – dem Rest fehle es an unternehmerischem Mut. Nur neun Prozent der Manager halten diesen Aspekt in ihrem Unternehmen für sehr stark, 38 Prozent für eher gering oder gar nicht ausgeprägt. Anders sieht es hingegen bei Familienunternehmen aus, sagt Schloemer. Sie gehören für ihn nicht zur „arroganten“ Manager-Riege, weil sie sich mit Start-ups eher „auf Augenhöhe“ bewegen würden.
Smart Home in den Alpen
Wie diese Annäherung aussehen kann, beschreibt Max Viessmann, der zunächst Erfahrung als sogenannter Angel-Investor Erfahrung gesammelt, also in der Frühphase in Start-ups investiert und sie beim Aufbau ihrer Geschäftsidee unterstützt hat. Erst danach setzte er auf die Einbindung der jungen Unternehmen in seine Firma, mit deren Hilfe bessere Lösungen zur Vernetzung und Digitalisierung der Produkte und Maschinen entwickelt werden sollen. „Smart Home“ wird diese Strategie genannt. Mit seinem Vater habe er in den österreichischen Alpen über diese künftige Ausrichtung diskutiert, erzählt Viessmann. Doch was an der frischen Luft schnell einleuchtet, sei in einem seit 99 Jahren bestehenden Unternehmen nicht immer so leicht umzusetzen. „Manchem Mitarbeiter fällt es schwer zu verstehen, dass Erfahrung zwar ein Wert an sich ist, aber keine Kompetenz für die aktuellen Herausforderungen.“ Dennoch sei es wichtig, beim Digitalisierungsprozess auch Fehler zu machen, um überhaupt lernen zu können – damit zeigt Viessmann genau den unternehmerischen Mut, an dem es den deutschen Industrieunternehmen der Forsa-Umfrage zufolge angeblich fehlt.
Erst im Sommer hatte Viessmann in seinem Unternehmen das Amt des Digitalchefs übernommen, sein Vorgänger Joachim Janssen wurde neuer Vorstandschef. „Ein gutes Beispiel, dass man sich in dieser Position auch für höhere Ämter empfehlen kann“, sagt Viessmann mit Blick auf die Diskussion, ob Deutschland künftig einen Digitalminister braucht.
Eine europaweite Lösung für Datenschutz?
Die Frage ist in der Bundesregierung unumstritten. So würde Staatssekretär Machnig beispielsweise gerne „die heilige Vierfaltigkeit“ aufheben, also die bisherige Aufteilung der Digitalthemen unter den Ministerien für Verkehr, Innenpolitik, Forschung und Wirtschaft, „denn manchmal habe ich das Gefühl, dass es sich hierbei nur um eine organisierte Nicht-Verantwortlichkeit handelt“, kritisiert Machnig. Zwar sei die Digitalisierung ein Thema, mit dem sich jedes Ressort einzeln beschäftigen müsse. Sinnvoll sei es aber, wenn ein Ministerium dabei „den Hut aufhabe“. Und das soll nach Machnigs Auffassung – wenig überraschend - das Wirtschaftsministerium sein. Zusätzlich plädiert er dafür, eine Digitalagentur, ähnlich wie die Bundesnetzagentur, zu schaffen, die Strukturen bündeln und sich um Regulierungs- und Verbraucherschutzfragen kümmern soll. Das seien allerdings Themen, die erst im nächsten Koalitionsvertrag geregelt werden sollten, betont Machnig.
Was aber möglichst schnell geschaffen werden sollte, sei eine gemeinsame europäische Lösung für Datenschutzregelungen. Wie kompliziert das bisherige System ist, beklagt auch Valentin Stalf vom Fintech N26. Er beschäftige einen Anwalt, der sich ausschließlich mit den unterschiedlichen Regeln in den 28 EU-Mitgliedstaaten befasse. „Das macht es Unternehmen nicht einfacher, im internationalen Wettbewerb mitzuhalten.“
Schloemer fordert zudem, das Insolvenzrecht für Start-ups zu reformieren. „Die Kultur des Scheiterns im Silicon Valley wird immer gelobt, aber wie soll sie bei uns entstehen, wenn junge Unternehmer hier nach einer Pleite keine Chance mehr bekommen“, fragt er.
Auch ein hübsches Thema für die nächste Runde Manager auf Zootour durch Berlin.